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Das Meer hinterlässt keine Spuren

Ignacio Aldecoa: Gran Sol. Deutsch von Willi Zurbrüggen. marebuchverlag 2007. 299 Seiten.

Kurzrezension im Rheinischen Merkur

Zweitveröffentlichung vom 10.06.2007 im titel-magazin

titelmagazin.com/artikel/4/4010/ignacio-aldecoa-gran-sol.html

 

Die realistische Darstellung des Lebens auf dem Meer wird von Ignacio Aldecoa philosophisch überhöht. So wird das Kielwasser, das nie dasselbe ist, zum Inbegriff der gelebten, auch ausradierten Zeit.


Wie viele Farben hat das Meer? Die Farbe einer hellen Schiefertafel oder das dunkle Silber des Fischbauchs? Limonig im schwefligen Licht des wolkenbedeckten Himmels? Zweifarbig vom Dunkelgrün der Nordischen See und tiefem Schwarz des Kohlenerzes? Oder scharlachtrot im Licht der geronnenen roten Scheibe der Sonne? Die Mannschaft des Fischkutters Aril kennt sie alle. Farben und Geruch, das Salz auf der Haut wie auf der Zunge. Sie sind ihnen genauso vertraut wie das Schlagen, Streicheln und Dröhnen der Wellen. Auf ihrer Fangroute zur Fischbank Gran Sol westlich von Irland wettern die kantabrischen Fischer so manchen Sturm ab. Wie den, der Kapitän Simón Orozco schließlich das Leben kostet. Er wird in Bantry begraben. Sein Friedhof, ein „Kai voller alter Bekannter“. Die starken kontrastreichen Bilder des Romans „Gran Sol“ lassen an die Filme des italienischen Neorealismus denken. Die körperlich extrem harte und gefährliche Arbeit der dreizehn Männer auf See und das zusammengedrängte Leben zwischen Deck, Kajüte und Kombüse wird in dem spanischen Klassiker in höchster sinnlicher Unmittelbarkeit geschildert. Auf engstem Raum und wie im Zeitraffer wechseln Angst und Erschöpfung, Wut und Agression mit Monotonie und Melancholie. Gleichzeitig wird die realistische Darstellung des Lebens auf dem Meer von Autor Ignacio Aldecoa philosophisch überhöht. So wird das Kielwasser, das nie dasselbe ist, zum Inbegriff der gelebten, auch ausradierten Zeit. Der marebuchverlag hat das 1957 erschienene spanische Original jetzt mit einem Vorwort von Rafael Chirbes auf Deutsch aufgelegt. Ein mitreißendes Buch und eine Meisterleistung des Übersetzers Willi Zurbrüggen.

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