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„Des wird a Dichta“ – lyrische verbarien von H.C. Artmann

H.C. Artmann: Sämtliche Gedichte. Hrs. Klaus Reichert. Jung und Jung 2003, 800 Seiten.

Rezension in fixpoetry.com
http://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/hc-artmann/saemtliche-gedichte

Artmann versucht in seinen Gedichten, „die strahlenden Momentaufnahmen winziger Dinge (...), abgesprungene, isolierte Details im Strahlenglanz ihrer leuchtenden Faktizität (...) und alles in der wertfreien Gleichzeitigkeit des Daseins“ festzuhalten. Bei diesem Vorhaben bedient sich Artmann eines bewusst „erweiterten“ Sprachmaterials, in das er nicht nur alles Sprech-, Druck- und Hörbare, sondern auch andere Nationalprachen – Artmann befasste sich mit über 26 Sprachen – mit einbezieht. Denn, so der Sprachvirtuose Artmann über seine Lyrik, „ich rede nicht von meinen Gefühlen; ich setze vielmehr Worte in Szene und sie treiben ihre eigene Choreographie.“ H.C. Artmann spielt auf seinem Wortinstrumentarium und bringt die Sprache, mal in „hohem lyrischem Ton“, mal im Wiener Straßen-Dialekt, zum Klingen. Er setzt immer neue Sprachmasken auf und deklamiert in wechselnden Sprechweisen. „Kuppler und Zuhälter von Worten“ nennt der Autor sich. Artmann weiß, die Sprache hat ihre eigene Dynamik und lässt sich nur begrenzt vom Dichter formen und „domestizieren“, „denn Worte haben eine bestimmte magnetische Masse, die gegenseitig nach Regeln anziehend wirkt; sie sind gleichsam ‚sexuell‘, sie zeugen miteinander, sie treiben Unzucht miteinander, sie üben Magie, die über mich hinweggeht.“

Seine lyrische Sprechweise ist dennoch immer kunstvoll und die Gedichte mit hohem formalem Anspruch arrangiert. Das betrifft nicht nur den Einsatz von Sprachrhythmus und Versmaß. Außerdem beherrscht Artmann die Adaption verschiedenster historischer lyrischer Formen und poetischer Stilmittel. Ob er in „neun epigrammata in teutschen alexandrinern“ mit schwerem Basso Continuo zum barocken Totentanz aufspielt oder in „vergänglichkeit & auferstehung der schäferei“ die Hirtenflöte zur anakreontischen Schäferidylle bläst: Zentral ist der „poetische act“, „die pose in ihrer edelsten form“. Mit Ironie wird jede neue Rolle „starkbewußt extemporiert“ und im nächsten Moment schon wieder gewechselt. Als Exempel ein barocker Alexandriner: VII. // auf den todt alß ein mauß-fallen // fort / fort das samtgewand / fort / perlen & corallen / // ach / für ein jenseits wallen wäre leinewand zu viel / // am tag der mause fallen / nackt / wie sichs ziemt / ins ziel / // wirfft dich die große hand geschickt aus ihren crallen ...

Diese Vielfältigkeit des Autors, die in Ernst Jandls Laudatio auf den Dichter charakterisierte „Beweglichkeit des Punktes Artmann auf der literarischen Karte, sein dauerndes Entgleiten ebenso wie seine Fähigkeit zu plötzlichem Auftauchen an mehreren Stellen zugleich“ ist vielleicht das Beständigste in Artmanns Lyrik. An diesem Punkt treffen sich Dichter und Rebell. Denn was charakterisiert die Rebellion stärker als das immer wieder neu auf die Probe stellen des gerade Entwickelten? Vielleicht ist es genau das, was Artmanns „Rebellische Dichtung“ auszeichnet, ihr permanentes Experimentierstadium: „Mir geht es (...) verdammt noch mal um das stete Experiment (...) Wenn ich etwas geschrieben habe (...) und das Experiment ist da, (...) dann möchte ich mich nicht wiederholen.“.

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