// Startseite // Buchkritik // 

Christoph W. Bauer: mein lieben mein hassen mein mittendrin du

Gedichte. Mit einem Nachwort von Niklas Holzberg. Innsbruck, Wien: Haymon Verlag, 2011. 92 Seiten, gebunden.
Rezension vom August 2011 im literaturhaus.at
www.literaturhaus.at/index.php

Das Leben ist ein Punkkonzert, "glück ein simpler akkord", Liebe ein perfekter Song. Bei der Liebe variiert nur der Sound, der Text bleibt der Gleiche. Und das seit Tausenden von Jahren. Schon die "Carmina" des Römers Gaius Valerius Catullus an seine geliebte "Lesbia" im 1. Jahrhundert vor Christus haben alles, was einen guten Love-Song ausmacht. Die Lieder des antiken Punk-Poeten sind schwärmerisch verliebt und erotisch derb, mal von Eifersucht und Hass erfüllt, mal sehnsüchtig verzehrend. Die ideale Vorlage für einen trans-historischen Remix frei nach dem Motto: Catull klingt gut, die Toten Hosen klingen gut; wie gut müssen erst Catull und die Toten Hosen gemeinsam klingen? Christoph W. Bauer macht in seinem neuen Gedichtband "mein lieben mein hassen mein mittendrin du" die moderne Song-Probe aufs antike Exempel. Sein lyrischer Punk-Rock mit lateinischen Liedzeilen und anarchisch-schrägem Tote-Hosen-Sound klingt dann etwa so: vivamus / atque amemus campino krakeelt was zählt.

Ein atemberaubender musikalisch-poetischer Quantensprung, dem sogar der Altphilologe Niklas Holzberg in seinem Nachwort Achtung zollen muss. Der Fachmann für erotische Lyrik findet zahllose direkte und indirekte Bezüge auf Catull. In "da mi basia mille deinde centum" schreibt Bauer seine Verse in Catulls berühmtes Kussgedicht hinein. Mehrfach zitiert Bauer den zweideutig erotischen Catullschen Sperling. Und er über-schreibt die obszönen Derbheiten des Römers buchstäblich mit seinen eigenen Worten: der schwanz hurt herum natürlich / (...) mir unters haar / sprüht mnemosyne sich als graffito / ohne ablaufdatum du aber nickst nur / mentula moechatur klar doch certe.


Doch Christoph W. Bauers wie Catulls Lesbia-Verse als Liebesroman angelegter Gedichtzyklus ist mehr als eine nur scheinbar respektlose Hommage an den antiken Dichter. Mit der für den Punk typischen chronischen Respektlosigkeit gegenüber allen Autoritäten mixt Bauer zahlreiche weitere wegweisende Dichter und Künstler der Vergangenheit in seinen Punk-Antike-Lyrik-Sampler, unter anderem den Renaissance-Dichter Guido Cavalcanti. Cavalcantis Liebesgedichte gelten als beispielhaft für die Amordoktrin und den Dolce stil nuovo. Christoph W. Bauer greift das hohe Formbewusstsein und die rhetorische Geschliffenheit dieser elitären Dichter-Schule als stilprägend für seine eigene Gedichtsammlung auf. Bauers in kunstvolle Strophen- und Reimformen gefassten, stilistisch äußerst ausgefeilten Verse präsentieren sich als formal "feingetunter" poetischer Edel-Krach.


Auf der historischen Achse ist der Florentiner Cavalcanti im Duecento, irgendwo auf halber Strecke zwischen Antike und Punk, anzusiedeln. Als bedeutender Liebesdichter der Renaissance steht er stellvertretend für die wichtigste geistesgeschichtliche Zäsur auf dem Weg zur Moderne. Christoph W. Bauer stellt sich hier ausdrücklich und durchaus ehrfürchtig in diese jahrtausendealte Dichtungstradition. Der Autor versteht sich als Teil literarischer Überlieferung, die, so ein anderes Gedicht, mit den ersten Schriftrollen in Alexandria beginnt:


so benennbar ist was / uns eint als palimpsest an dem die sehnsucht / schabt um ein paar zeilen aufzustöbern die für / einen himmel nicht reichen hör ich dich lachen / aber immerhin für ein gedicht dann und wann.

Zur persönlichen Fortschreibung dieser literarischen Tradition erfindet Christoph W. Bauer in seinen Gedichten die hochartistische Disziplin des poetischen Dreisprungs quer durch die Zeit. Mit dem Kunstgriff poetischer Amalgamierung scheinbar krasser Gegensätze von der Antike über die Renaissance zur Gegenwart möchte er den Bruch hin zur Moderne überwinden. Dazu arbeitet Bauer vor allem mit der Technik des konsequenten Stilbruchs, z.B. der Konfrontation rhetorisch geschliffener Sprache und hoher Form mit Punk-Parolen und derber Gossensprache. Verbunden werden die Gegensätze auch musikalisch durch den dynamischen Rhythmus, der die Gedichte wie Songtexte vorantreibt. Verbindend wirkt zudem die poetische Vervielfachung des semantischen Potenzials durch das Offenhalten der Satzkonstruktionen; unter anderem mit Hilfe konsequenter Kleinschreibung und dem Fehlen jeglicher Interpunktion.

Christoph W. Bauer schlägt in seinem Gedichtband "mein lieben mein hassen mein mittendrin du" einen bislang nicht gehörten Sound-Mix an: cool und lakonisch, sanft und leise, schrill und laut. Bauer komponiert auf beeindruckend lässige Weise klassische Harmonien und schrille Punk-Akkorde zusammen. Dabei entstehen schräg-schöne Klangbilder mit der Griffigkeit von Liedzeilen und der Schlagkraft von Slam-Poetry. Ein historisch-poetisches Punk-Album mit Seltenheitswert.

|