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"trecks tricks und tropen" - mit dem "Metamorphosenexpress" ins Jenseits

Christoph W. Bauer: supersonic. logbuch einer reise ins verschwinden. Edition Korrespondenzen, 2006. 132 S.; geb..

Rezension vom 28.06.2006 im literaturhaus.at
http://www.literaturhaus.at/index.php?id=534&L=0


"Der Tod ist das Ass im Ärmel des Vergessens und allgegenwärtig." Die Gegenspieler? Mythos, Religion, Literatur. Ihre Trümpfe: das Erinnern in und durch Sprache. Ein ungleiches Blatt. Ein Spiel um Leben und Tod, das nicht zu gewinnen ist und das trotzdem unermüdlich weitergespielt wird; von Beginn jeder menschlichen Kultur an bis heute. Genauso versuchen Dichter sich seit Odysseus' Reise in die Unterwelt als Grenzgänger des Todes, um das Jenseits als Gedächtnislandschaft zu erkunden.

Mit seinem "logbuch einer reise ins verschwinden" knüpft Christoph W. Bauer an die lange Tradition der "literarischen Nutzniesser des Todes" an, greift die Topoi rund um das Jenseits auf, bewegt sich als "Trittbrettfahrer" auf vorgefundenen Spuren, um mit seinen Gedichten doch immer wieder schrittweise darüber hinaus seine eigenen Wege zu finden. Im bescheidenen Selbstverständnis eines Poeten, der sich im Sinne des griechischen poiein (herstellen, anfertigen) vor allem als Handwerker versteht, versucht er sich in seinem Gedichtband "supersonic" an einer modernen "Ars Moriendi". Einer Kunst des Sterbens, aus der er wie der Lyriker Guido Cavalcanti sein Leben zu schöpfen hofft. In der Hoffnung auf die Macht einer Literatur, die zwar keine "Reanimation im Orkus" erlaubt, aber Vergessen und Tod ihr utopisches "trotzdem" gegenüber zu stellen vermag: denn "was in Sprache weiterlebt, beatmet noch heute das Erinnern".

Von diesem Punkt aus beginnt der Autor seine Reise, besteigt auf den Spuren Ovids den "Metamorphosenexpress" und bewegt sich - "sprechblasen volle kraft voraus" - mit supersonic-Überschallgeschwindigkeit in die Unterwelt. "lets go" spricht sich der lyrische Sprecher zum Auftakt seiner Fahrt in das Reich der Toten noch einmal Mut zu, bevor ihn ein "basslauf herzschlagdumpfer / alarm im sog der gitarren eine stimme nicht / deine in nomadischen schleifen" ins Land des Vergessens zieht. Von da an gibt das herzschlagschnelle Metrum der Bauerschen Verse den ruhelosen Rhythmus vor. Der Autor treibt den Leser in einem mit Songzeilen gespickten Lyrik-Rap rastlos über fließende Enjambements von Vers zu Vers. Verstärkt wird der poetische Beat durch konsequente Kleinschreibung, Aussparen jeglicher Interpunktion und das systematische Einstreuen von englischen Songzeilen und musikalischen Zitaten. Wie beim "einrasten der / nadel im ohr refrainreste you are the one" entsteht ein charakteristischer Sound, der den Leser schnell hinein- und von Gedicht zu Gedicht weiterzieht. Ein atemloser Übergang von Text zu Text, bei dem das Einleitungswort des Folgegedichts durch Wiederholung des jeweils letzten Wortes des vorangegangenen Gedichts immer den Takt aufgreift.

Diese durchgängige mitreißende Rhythmisierung der Texte ist die große Stärke der Gedichte Christoph W. Bauers. In Kombination mit überraschenden Neologismen und bis dahin noch nicht gehörten Metaphern entstehen klangvolle sinnliche Sprechbilder, die immer wieder neu zu verblüffen vermögen. Zumal, da sich durch die spezifische Verunklärung der grammatischen Bezüge zahlreiche parallele Sinnvalenzen öffnen, die wie der Rhythmus die Phantasie des Lesers immer in Bewegung halten und seine Imagination nie zur Ruhe kommen lassen: "lichtwirbelsequenzen" im Kopf.

Kontrapunktisch zum ruhelosen Takt der Verse konstruiert Bauer seine exakt siebzig Gedichte plus angehängtem Essay nach einer klaren, innerhalb von zehn Zyklen durchgängig einheitlich strukturierten äußeren Form.
Nach dem Auftakt "lets go" nimmt Bauer den Leser in "aprikosen" mit auf einen Trip ins Alter. Bis hin an die Grenzen des Bewusstseins, dort "anderswo aufgewacht begreifst du / nicht gleich wer dich / spricht und stehst vor einem / problem beim anziehen deiner hände". Der Zeitreise folgt im Zyklus "estrella" eine Reise durch den Raum. Mit dem "southern express", der "transsib", dem "tren a las nubes" oder der "estrella del norte" geht es vom Hindukusch nach Buenos Aires, durch den Indian Pacific über den Golf von Mexiko, vorbei al El Paso nach Nowosibirsk. Nach irdischen "trecks tricks und tropen" startet Bauer sein lyrisches "apolloprogramm", um sich dann ansatzlos mit poetischen "lichtgeschwader" in die "regenherde" literarischer Traditionen zurückzukatapultieren. Frei nach Rilkes "Panther" entdeckt er "hinter allen / stäben eine welt exotischer akkorde", bevor er sich im nächsten Zyklus "pneuma" auf die Suche nach dem verlorenen Lebensprinzip, der Seele, dem göttlichen Atem macht. Mit den "aeronauten", den Luftschiffern, die den Menschheitstraum vom Fliegen leben, saust der lyrische Sprecher einem "himmel entgegen in den / spurrinnen der aeroplane denen ein / ziel nicht anzusehen war". Den formalen Höhepunkt bildet der sprachreflexive Zyklus "finis terrae" mit seinen traditionsstreng gereimten Sonetten. Nicht zufällig wählt Bauer das Sonett, die Gedichtform des todesschwangeren Barock.

Gegen die Allgewalt des Todes kann der Dichter nur "am handwerk des scheiterns geschulte zeilen" hervorbringen: "zeilen über zeilen ins pergament geplagt / immer im wissen es ist so vergebens (...) / nur ein akt der verweigerung des lebens // und zugleich ein ansturm gegen das ende". Ein vergebliches Aufbäumen der Sprache ähnlich dem Todeskampf in der Intensivstation im vorletzten Zyklus, der mit "kreislaufatemstillstand reanimation / im albtraumkinostakkato (...) wegtreten und schuss (...) / und filmriss / NACA sieben exitus" endet. Der finale Exitus, der endgültige Schluss, nach dem auch die gelungensten Verse "dir die zeit nicht mehr umkehren" können.

Aber "exitus ist kein guter anfang". Und wie hieß es gleich zum Auftakt dieses lyrischen Trips durch Zeit und Raum, in den Körper und das Bewusstsein, über Technik und Natur in die Geschichte tief zurück und mit der Sprache weit nach vorn: "uferlos kann nicht sein was zurückkehrt"? In diesem Sinne kann das Ende nur ein neuer Anfang sein. Der Beginn eines neuen "Logbuchs" der nächsten Reise des literarischen Trittbrettfahrers Christoph W. Bauer. Kein Schluss also, sondern "alarm eine stimme nicht meine lets go".

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