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Kiefern als göttliche Boten

Bae, Bien-U: Sacred Wood. Hatje Cantz 2009. 120 Seiten, (71 Abbildungen, davon 12 farbig).

Sendung vom 09.07.2009 im Deutschlandfunk, Moderation Hubert Winkels

http://www.deutschlandfunk.de/kiefern-als-goettliche-boten.700.de.html?dram:article_id=84152
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"Kiefern sind für Koreaner das Fundament ihrer Seele", sagt Bae, Bien-U, der bedeutendste Fotokünstler Koreas. Bekannt wurde er in seinem Heimatland durch meditative Landschaftsaufnahmen von geradezu kalligrafischer Qualität. Ein neuer großformatiger Leinenband versammelt eine Auswahl dieser Fotografien von Kiefern und Kiefernhainen aus 25 Jahren.

Dichte Kiefernwälder bedecken große Teile Koreas. Nicht allein deshalb hängt man Neugeborenen dort Kiefernzweige an die Tür und beerdigt die Toten in Särgen aus Kiefernholz. Kiefern, glauben viele Menschen in Korea, seien göttliche Boten. Ihre Aufgabe: Die Seelen der Verstorbenen vom Tod zu befreien und in den Himmel zu führen. Man möchte diesen Glauben teilen, wenn man die Bilder des bedeutendsten koreanische Fotografen Bae, Bien-U betrachtet. Wie Lebenslinien schlängeln sich die bis zur Krone astlosen Stämme auf seinen großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos in die Höhe.

Nicht die Spur eines Menschen und wenig Unterholz stören den Eindruck einer natürlich gewachsenen Kathedrale mit Kiefern als unmerklich schwingende Säulen. Ihre Stämme wandern in einen scheinbar immerwährenden Dunst hinein und verblassen mehr und mehr, bis sie schließlich ganz im Nebelmeer verschwimmen. Lichtinseln überstrahlen die Zwischenräume der Nadelkissen in den Baumkronen - sanft winkende Arme der hoch hinauf ragenden Himmelsboten. Bewegungsunschärfe lässt ihr besänftigendes Wiegen im Wind hörbar werden. Das Rauschen des Kiefernwaldes in einer verschneiten Winternacht ist für Koreaner das erhabenste aller Geräusche. Genauso meint man den Duft des mit Nadeln bedeckten, zur Ruhe einladenden trockenen Waldbodens zu riechen.

Ein Waldbad für die Seele und für alle Sinne. Bae's sitzende Kamera nimmt den Betrachter mit in die Position eines Zen-Meditierenden. "Um einen Haiku zu schreiben, werde ein drei Fuß hohes Kind", sagt der japanische Haiku-Meister Bashô. Bae hat mit der Haltung des Haiku-Dichters viel gemein. Schon seit 25 Jahren fotografiert Bae die Kiefernwälder rund um den königlichen Schrein der Shilla-Dynastie in Gyeongju. Während der Herrschaft der Shilla-Könige vom Beginn des 1. bis zum 9. Jahrhunderts erlebte der Buddhismus in Korea seine erste große Blüte, 528 wurde er zur Staatsreligion. Im betrachtenden Sichversenken in immer die gleiche Naturerscheinung möchte Bae Augenblicke mystischer Einheitserfahrung heraufbeschwören. Dieser Moment der Wesensschau heißt im Zen "satori". Für einen Lidschlag der Zeit wird der in dieser Sekunde aller Wünsche und Begierden ledige Betrachter eins mit der ihm begegnenden Erscheinung.

Das individuelle Kameraauge muss sich dafür so weit wie möglich zurücknehmen und das Bewusstsein des Schauenden so leer werden wie das unbelichtete Negativ. Erst dann kann es zum reinen Spiegel der angeschauten Natur werden; und im Foto scheint, wie Goethe es nennt, die "lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen" auf. Bae strebt mit seiner Selbstenthaltung zu größtmöglicher fotografischer Genauigkeit und bildnerischer Objektivität. Denn je mehr der Künstler sich und seinen reflektierenden Verstand während der Aufnahme zur Ruhe kommen lässt, desto unvermittelter reden die Dinge zu uns.

Mit seinen Fotos schafft er einen mystischen Raum, der endlos ist in der sich wiederholenden Vervielfachung. Es ist, als führe das Immergleiche in der Variation seiner Bilder das Verlangen über das hinaus, was es erkennen lässt. Das Geheimnisvolle an Bae's Räumen ist, dass sie den Blick freigeben, um ihn zu verstellen. Wie Zaunreihen hintereinander gestaffelte Stämme lenken den Blick ins Irgendwo. Wege scheinen auf und führen ins Nichts. Der Horizont bleibt unsichtbar. Aber in der offenen asymmetrischen Komposition des Raums und der zweidimensionalen Balance der fotografischen Kalligrafien mag etwas durchscheinen, das kunstvoll verborgen wird, um es zu enthüllen.

Das Licht dient als Medium zur Darstellung des Undarstellbaren. Licht schmilzt das Dunkel hinweg, und die Kiefern werden aus der Dämmerung heraus ins Licht hineingearbeitet. Das "Ablichten" der Wirklichkeit im Foto wird zum Prozess der im Wortsinn verstandenen "Erleuchtung". Licht ist der körperlose Botenstoff der alles durchwirkenden Lebensenergie, der alles durchscheinende Mittler zwischen Himmel und Erde.

Das Licht zeichnet die Konturen der Kiefern, verbindet sich mit den reflektierenden Wassertropfen und sinkt als Tau auf den Grund. Wasser, die geheime Lebenskraft der Erde, fließt über die Wurzeln die Stämme hinauf in die zum Himmel ragenden, vom Licht überstrahlten Äste. Diesen von unsichtbaren Kräften bewegten und bewegenden Kreislauf fließender Energie machen Bae's Fotos fühlbar. Seine Bilder lebendiger Unbeweglichkeit sind von ungeheurer Schlichtheit und selten gesehenem Formenreichtum.

Die Kiefer steht als Chiffre für das Unveränderliche im ständigen Wechsel von Werden und Vergehen. Im Fotografieren der auch im Wandel der Jahreszeiten immergrünen, oft Jahrhunderte alten Kiefern versucht Bae, den Widerschein des ewigen Kosmos festzuhalten. Bae's fotografische Andachten wollen den Blick momentlang befreien von der Nichtigkeit des eigenen Selbst und durchdringen bis auf den Urgrund der Dinge. In seinen Kiefernwald-Meditationen wird der Wunsch dieses Haikus zum fortwährenden Gebet:" Ach, dieser Vollmond: / Wenn ich einst wiederkomme, / Als Kiefer, bitte -"

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