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Der digitale Imperativ

Don DeLillo: Cosmopolis. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Kiepenheuer & Witsch 2003. 204 Seiten


unveröffentlichter Originaltext

 

Cosmopolis – Metropolis in Potenz. Die neue Dimension einer in Fritz Langs Film aus dem Jahr 1927 zum Kult kristallisierten Zukunftsvision. Der düstere Ausblick auf eine von Macht und Technik dominierte entmenschlichte Gesellschaft. Gesteigert schon durch die systematische Relativierung von Raum und Zeit. Die Zukunft, sie spielt im Jahr 2000, ist bereits Vergangenheit. Räume werden durch fernsteuerbare Technik nivelliert. Cosmopolis, Metropolis im Millenium, alias New York, vielleicht auch Gotham City, ist das mobile Herz des globalen Wirtschaftsorganismus. Es sitzt überall dort, wo die weltweiten Märkte manipulierbar sind. Jedes Menschliche ist in der allumfassenden Digitalisierung und wirtschaftlichen Vernetzung eliminiert. Alles gehorcht der Null-Einsheit der Welt, dem digitalen Imperativ. Zahlenströme jagen in Bits und Bytes durch Glasfaserkabel, die Adern des digitalen Blutkreislaufs. Angetrieben vom Pulsieren der Weltmärkte, steigt und fällt die Amplitude im hektischen Rhythmus der steigenden und fallenden Währungen. Hysterie in Hochgeschwindigkeit, Tag für Tag, Minute für Minute. Das Zauberwort ist: Der Markt. Die größte Herausforderung: Einfluss auf die Interaktion zwischen Technik und Kapital.

Eric Packer ist Finanzimperator im intergalaktischen Krieg der Märkte und Währungen. Der fitnessgestählte Wirtschafts-Samurai bewohnt die achtundvierzig Zimmer auf mehreren Etagen eines neunundachtzig Stockwerken hohen gläsernen Wohnturms allein. Aus seiner „stretched Limo“, einer kugelsicheren, extralangen Limousine, lenkt er seine gesamten Aktivitäten. Dort, in der abgeschirmten Welt seiner versenkbaren Flat-Screens, alles überwachender Spy-Cams und über Sprache und Handgesten gesteuerten mobilen Computer arbeitet er. In der unablässig fließenden Harmonie der Zahlenströme und Wirtschaftsdaten agiert Eric Packer als absoluter unangreifbarer Herrscher seines Imperiums. Packers Reich ist virus-checked und voll automatisiert. Die Menschen sind reduziert auf Funktionen, dafür haben die Daten selbst eine Seele. In Packers hypermanischem Bewusstsein und Egozentrismus, in dem er „Ich über alles“ setzt, ist Reichtum zum Selbstzweck geworden: „Das Cyberkapital erschafft die Zukunft.“

Aber es gibt Irritationsfaktoren. Zum einen Packers Körper. Mit der Feststellung „Meine Prostata ist asymmetrisch“ bricht alles herein, was in Cosmopolis eliminiert zu sein schien: Zweifel, Zeit-Wahrnehmung, Bewusstsein vom täglichen Sterben und drohenden Tod, Ängste und Emotionalität, Identität und chverlust. Und noch etwas: Packer wird von anonymen Morddrohungen getrieben. Schließlich wird sogar die Vision seiner wirtschaftlichen Allmacht und technischen Omnipotenz in einer immer dringlicher werdenden kurzen Nachricht Lügen gestraft: „Der Yen steigt.“ Überzogene Währungsspekulationen führen am Ende innerhalb von Minuten zu seinem totalen Bankrott. Der Ausgangspunkt für einen radikalen Befreiungsschlag: Packer ermordet seinen Sicherheitschef.

Der Zusammenbruch seines Wirtschaftsimperiums hinterlässt eine beängstigende Orientierungslosigkeit und Leere. Nach einem initialen Ausflug in seine Kindheitsumgebung verlässt Packer seine Limousine, und macht sich, in Umkehrung des klassischen Topos, auf die Suche nach seinem Mörder. Im Dialog mit  seinem Alter ego, wird ihm der Spiegel vorgehalten: „Wie wichtig das Schiefe ist, etwas, das leicht schräg hängt. Sie haben das Gleichgewicht gesucht (...). Aber Sie hätten dem Yen in seinen Ticks und Schrullen nachspüren sollen. (...). Dem Baufehler. (...) Da lag die Antwort, in Ihrem Körper, in Ihrer Prostata.“ In einem surrealen finalen Showdown zeigt Packers Uhr ihm nicht die Zeit an, sondern seinen eigenen vorweggenommenen Tod. Eine banale Leiche, weit weg von seinem Ziel „außerhalb der vorgegebenen Grenzen zu leben, in einem Chip, auf einer Diskette, als Daten, strudelnd, in strahlendem Wirbel, ein Bewusstsein, vor der Leere gerettet.“

DeLillo beschreibt mit Cosmopolis die Zukunft in einem skurrilen Science-Fiction, der bereits heute Wirklichkeit geworden ist. Im systematischem „Auf die Spitze treiben“ des schon Realen läuft DeLillo allerdings Gefahr, den Übertreibungs-Effekt überzustrapazieren. Das stilistische Sich-Einlassen und Überziehen der Techno-Sprache und Global-Finance-Terminologie droht auf Dauer leerzulaufen. Auch die künstliche Handlungskonstruktion mit zahlreichen pseudo-originellen und krampfhaft skurrilen Szenen und die absurden Kombinationen von Hochphilosophischem und Banalem überzeugen selten. Die Lektüre von Cosmopolis ist daher nur passagenweise interessant und nur selten amüsant, da dem Roman jede Spur von Humor und Ironie fehlt, wie sie der angestrebten Absurdität und Skurrilität angemessen wäre.

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