// Startseite // Buchkritik // 

Im Land der begehbaren Bilder

Bernd Desinger: Arthurs Entführung. Der Doppelweg. Erstes Buch einer Romantrilogie. Wiesenburg Verlag 2012. 369 Seiten.

Sendung vom 11.09.2012 im Deutschlandfunk, Moderation Hubert Winkels

http://www.deutschlandfunk.de/im-land-der-begehbaren-bilder.700.de.html?dram:article_id=220707
Beitrag hören

 

Der Leiter des Düsseldorfer Filmmuseums Bernd Desinger ist ein kreatives Multitalent. In einem anderen Leben habe er als Musiker zur Gitarre gesungen, und über die Songtexte sei er zum Schreiben gekommen. Jetzt ist das erste Buch einer geplanten Romantrilogie erschienen: eine fantastische Abenteuergeschichte nach Art des Artus-Epos.

Irgendwie sei das Ungewöhnliche zuletzt ja schon fast das Normale geworden, resümiert Eric die unerhörten Erlebnisse seiner Abenteuerreise. Seinen drei Freunden Jannifer, Lance und Falk ist es auf ihren Aventüren nicht anders gegangen. Jeder war auf einer unterschiedlichen Route von Münster aus in die Welt hinausgezogen. Alle haben sie auf ihren Reisen Erfahrungen jenseits der vorstellbaren Realität gemacht. Jetzt sollen sie sich in New York wiedersehen. Nein, nicht um Arthur wiederzufinden, nach dessen geheimnisvoller Entführung sich jeder zunächst allein auf die Suche gemacht hatte. Sondern um den sensationellen ersten New Yorker Auftritt von Jannifers Münsteraner Rockband "Männer, die zum Frühstück bleiben" live zu erleben. Und doch scheinen die Freunde Arthur plötzlich so nahe wie nie zuvor zu sein, als sie mitten in der Nacht nach dem Gig zu "The Cloisters" bestellt werden. Denn alle sind sich sicher, Arthurs Stimme gehört zu haben, während sie gegen die unbekannten Entführer einen Schwertkampf auf Leben und Tod führen.

Doch finden sie hier weder Arthur noch den heiligen Gral. Zum Teil schwer verletzt, stehen sie vor genau den gleichen Fragen wie am Anfang. Wo ist Arthur? Wer sind seine Entführer? Und was wollen sie von ihm und seinen Freunden? Schließlich hatten diese nicht nur keine Geldforderungen gestellt, sondern sogar für jeden der Freunde eine Geldsumme hinterlegt und ein persönliches Reiseziel ausgewählt. Die gerade fertig Studierten nehmen Geld und Reiseauftrag nicht eben ungern an. Denn alle sind chronisch "klamm" und wissen ohnehin nicht so genau, welche Richtung sie nach dem Studium einschlagen sollen. Noch ist alles möglich. Und vielleicht ist es gerade das, was sie so empfänglich macht für die Wahrnehmung des Surrealen.

Ausgerechnet der mit beiden Füßen auf dem Boden stehende Jura-Student Eric lässt sich in Norwegen, dem Land seiner Kindheit, von der mystisch-schönen stummen Åsta verführen. Auf der Suche nach der bald wie vom Erdboden Verschluckten stößt er auf einen geheimnisvollen Frauenbund. Schließlich folgt er einem mysteriösen Bergführer in eine unheimliche Höhle mit Riesen. Auch dem rationalen Betriebswirtschaftler Lance stehen auf seiner Reise an die Westküste der USA Begegnungen der dritten Art bevor. Im Rausch treiben zwei fremde Frauen ihr erotisches Spiel mit ihm. Danach rettet er die sprechende Eidechse Fetan vor dem Tod. Später tritt er von einem Park in L.A. aus mitten durch einen zweifelhaften Pechnebel eine Zeitreise in das märchenhafte Land Corntine an. Auch seine Freundin, die frischgebackene Kunsthistorikerin Jannifer, bleibt in ihrem Reiseziel New York nicht von Fantastischem verschont. Die Praktikantin im MoMA schlüpft mir nichts dir nichts - frei nach Woody Allens "Purple Rose of Cairo" - in ein Gemälde und wird dadurch unsichtbar. Auch sie verliebt sich: in Curtiz, in dessen Stamm-Club sie als Unsichtbare heimlich den Gig für Ihre Frauenrockband klarmacht.

Auch der durch das heimatliche Deutschland wandernde Germanist und Historiker Falk erlebt mit seinem ständigen Begleiter Joseph, einem ausgeblichenen roten Stockschirm, Märchenhaftes. Mitten in einem wundersamen Wald entdeckt er das romantische Haus vom Lichtbrunnen, trifft dort auf die schöne Mathilde und rettet sie vor einem bösen Unhold. Die leidenschaftliche Liebe zur holden Jungfrau erlebt Falk, genauso wie den späteren Sprung in den Brunnen hinein in ein anderes Märchenland, als tiefe persönliche Verwandlung.

Wie beim klassischen Artusroman zieht jeder der vier Arthur-Freunde auf seiner Reise in die Welt hinaus, um sich mit Liebesabenteuern und ritterlichen Taten weltliche Ehre zu erobern und eine innere Verwandlung zu erleben. Doch genauso wie bei der klassischen Artussage ist der gewonnene Idealzustand nicht von Dauer. Erst über den Doppelweg kann das Verlorene zurückerlangt und nur in dieser Wiederholung schließlich auch dauerhaft erworben werden. Die für den Artusroman spezifische Doppelstruktur spiegelt sich hier außerdem in einer zweifachen Verwandlung: Individuelle persönliche Selbstfindung und universelle philosophische Erkenntnis verlaufen parallel.

Es liest sich amüsant, wie Bernd Desinger den Artusroman aus dem 12. Jahrhundert in seinem Roman "Arthurs Entführung" die Gegenwart transponiert. Gerade die scheinbare Unbefangenheit, mit der die modernen Abenteurer sich mit antiken Schwertern durch die moderne Welt schlagen und völlig arglos mit sprechenden Echsen in eine allgemeinärztliche Praxis in L.A. marschieren, macht ihren Charme aus. Desingers Artus-Remix ist witzig und grotesk, aber immer auch ein bisschen ernsthaft. Nicht zufällig lässt er Eric über die Bedeutung des Zufalls und die Illusion des Verstehens philosophieren.

Bernd Desinger schärft mit seinem postmodernen Artus-Epos mitten in unserer oft nur noch von schierer Tatsächlichkeit bestimmten Alltagswelt unseren Sinn für das Mögliche. Der Autor stellt sich damit in die Tradition Don Quijotes, den er sogar in einer Märchensequenz direkt mit Arthur in Verbindung bringt. Seine eigentlich ganz normalen Abenteurer macht Desinger zu poetischen Rittern im Kampf der Fantasie gegen das bloße Reale. Beim Lesen bekommt man Lust, ihnen in das Land der begehbaren Bilder zu folgen.

|