// Startseite // Buchkritik // 

Nichts, nichts, nichts und auf den Bergen nichts

Oswald Egger: Val di Non. Suhrkamp 2017. 208 Seiten, 28,00 EUR.

Rezension vom 14.2.2018 im Deutschlandfunk, Sendung Büchermarkt

http://www.deutschlandfunk.de/owald-egger-val-di-non-poetische-reise-ins-nichts.700.de.html?dram:article_id=410781

Beitrag hören  (O-Töne von Oswald Egger aus seiner Berliner Rede zur Poesie , mit freundlicher Genehmigung des Autors; Zitate gesprochen von Gerd Daaßen vom DLF-Sprecherensemble)

 

Der Dichter Oswald Egger wurde 1963 in Lana / Südtirol geboren. Er studierte Literatur und Philosophie und lebt heute in Wien und auf der ehemaligen Raketenstation Hombroich bei Neuss. Der Lyriker wird vor allem für die kühne Originalität und Musikalität seiner Sprache gelobt. Die Titel seiner Gedichtbände, wie „Die Erde der Rede“, „Prosa, Proserpina, Prosa“ oder „nihilum album“, weisen auf ihre philosophische Grundierung hin. Eggers Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Beispiele sind der Clemens-Brentano-Preis im Jahr 2000 oder der Peter-Huchel-Preis 2007. Seit 2011 ist Egger Professor für „Sprache und Gestalt“ an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. 2013 übernahm er für zwei Semester die Thomas-Kling-Poetikdozentur an der Universität Bonn. Im Jahr 2017 wurde Egger mit dem Georg-Trakl-Preis für Lyrik ausgezeichnet. Zur gleichen Zeit erschien auch sein neues Buch „Val di Non“.


Was ist da, wo etwas nicht ist? Wenn nicht das Nichts? Ist das, was dort der Fall ist, ein Dazwischen? Könnte dort nicht ein Ort sein, wo etwas der Fall sein kann? Ein Möglichkeitsraum jenseits aller Tatsachen, die die Welt ausmachen? Mehr als ein Ort der Verneinung: Ein Raum des „Nicht mehr“ und „Noch nicht“. Der „Unpunkt“ nach dem Ende von Etwas. Und der „Ungrund“ vor dem Anfang von etwas anderem. Doch kann man dafür Worte finden? Der Dichter Oswald Egger hat das in seiner „ersten Berliner Rede zur Poesie“ so versucht:


Die Lücke hüpft, nimmt sich selbst aus und stutzt und unterbricht sich selbst, verstimmt plötzlich und erzielt damit, dass die Unzusammenverbundenheit der Wörter und Sachen unter dem Ton der Rede nicht nur nicht verlorengeht, sondern doch noch überläuft zum Glück, dass es ihn gibt. Beinahe so, als könnte ich mir aus nichts etwas machen. So wird alles angefangen haben.


Eggers Vortrag aus dem Jahr 2016 mit dem sprechenden Titel „Was nicht gesagt ist“ klingt wie die poetologische Grundierung seines im Jahr darauf erscheinenden Buchs „Val di Non“. Das vorangestellte Motto ist programmatisch: „… - nichts, nichts, nichts, nichts, nichts, nichts, und auf dem Berge nichts.“ Zitiert wird Juan de la Cruz, spanischer Karmeliterpater und berühmter Mystiker des Nichts aus dem 16. Jahrhundert. Nach seinem Vorbild sucht auch Egger in den Bergen, genauer im „Tal des Nichts“, die absolute Leere als Läuterung auf dem Weg zur poetischen Erleuchtung auf. Und zwar an seinem eigenen Ursprung: im Herkunftsland Südtirol. Im Nonstal. Dem „Val di Non“. Einem Gebirgs-Einschnitt, entstanden aus geologischen Verwerfungen, in denen sich zwei Gesteinsmassive gegeneinanderschieben und überlagern. Und wo die Sprachgrenze zwischen zwei Kulturen, zwischen Deutsch und Italienisch, verläuft. Hier, im „Val di Non“ findet der Dichter den idealen Ausgangspunkt seiner persönlichen poetischen Reise ins Nichts. Und stellt sich der existenziellen Frage:


Soll, was der Fall sein kann, falsch sein? Kein Valeur, also verneint davon? Das areale Areal, welches mein Tempe-, Kidron-, Licenza- und Kampanertal lustriert, istert, vom Cañon der Novella durchschlitzt, Bruchlinie und „Null leiter“ einer voralpiden Gebirgsfaltung, woraus die ganze Zeit – ineinanderschneidtelnd – auf blätterte und so ungegenständig auseinander fall’zt: mit Schalt-Intervallen, worin aber das Ganze und seine Teile auseinandertalen (…)


Auf der Suche nach dem Nichts als Möglichkeitsraum zeichnet Egger in „Val di Non“ jede noch so kleine Gesteinsfalte minutiös nach: den Gebirgsgrat entlang, die Wasserstürze hinab bis in den Talgrund. In Worten, die lautmalerisch geologischen Schichtungen folgen, aber auch die Brüche und „Störungsbündel“ markieren. Und wortwörtlich: in Zeichnungen, die in ihrer filigranen Präzision an naturwissenschaftliche morphologische Illustrationen erinnern. Die Abbildungen schweben, mal wurzelig verzweigt, oft amöbenähnlich, über den Textblöcken auf jeder Seite. Begleitet von poetischen Vierzeilern, die an Haikus denken lassen. Die stur das untere Drittel des Seiten-Volumens füllenden Fließtexte sind für Egger typische Mischgebilde zwischen Prosa und Poesie. Reimlose Proêmes, frei nach Francis Ponge; ohne Zeilenfall, aber mit der für Lyrik charakteristischen metaphorischen, stark rhythmisierten und lautmalerischen Verdichtung. Und im von Oswald Egger vertrauten Stil: unverkennbar durch die typischen poetologisch-philosophischen Sprachspiele mit Dualität und doppelter Verneinung sowie die Verwendung unvertrauter Regionalismen, Archaismen und wortbrecherischer Neologismen. Hier in „Val di Non“ mit seiner archaischen Gebirgslandschaft klingt Eggers Diktion oft wie die eines dichtenden Sprach-Geologen. Der versucht, aus wissenschaftlichen Protokollen verstörende und zugleich verzaubernde poetische „Felsengeburten“ entstehen zu lassen. Die Sprache wird in Eggers „Val di Non“ zum Granulat, quasi zum Ur-Stoff der geo-morphologischen Suche nach dem Ursprung poetischer Schöpfungskraft:


(…) wie Gnomen graues Gestein, Felsflächen und Schrammen: Riß- und Geschiebeformen, alles Wink-schliffe Flintstänze und Unlieder aus gestanzten, auf’splatzenden Wörtern.


Ausgesetzt in der menschenfeindlichen Leere des Hochgebirges mutiert das Kommunikationsmittel Sprache vom kalkuliert enthemmten Sinngeschiebe zum sinnbefreiten Wortgemergel. Eggers monströse Sprachmoränen und Wortlawinen in „Val di Non“ verweigern sich in der Kumulation nachhaltig der Vorstellungskraft. Im Dialog mit den Elementen Feuer, Wasser, Licht und Stein treibt der Dichter die Sprache hier bewusst über ihre Verständlichkeit hinaus. Bis an den Punkt, an dem das Wortgeröll zum akustischen Ereignis, das Sprechen zum Singsang und die Poesie am Ende zu Musik wird. „Ich singe, also bin ich, singe ich“ lautet das zweite Motto von „Val di Non“. Noch ein zentraler Punkt, an dem Eggers jüngstes Buch mit seiner “ersten Berliner Rede zur Poesie“ und ihrer Poetik übereinstimmt; wo es heißt:

Denn sprechen hieße vor allem, die Macht haben, nicht zu sprechen. Nur die Sprechen können sprechen. Und die anderen: ausgesprochen nicht. Ich? Ich singe, also bin ich, singe ich. (…)


Oswald Egger setzt in „Val di Non“ sein markantes poetisches Programm mit überzeugender Konsequenz fort. Obwohl, oder vielleicht gerade weil ihm bewusst ist: die Masse der Leser wird ihm auch bei dieser neuen literarischen Expedition in sprachliche Hochgebirgsregionen wieder einmal kaum folgen können. Eggers poetologisches Ziel steht fest: ein Sprechen jenseits der Sprache. In „Val di Non“ beglaubigt der Dichter noch einmal sein eigenes Scheitern auf dem Grat zum Nichts. Grund genug, für den solitären Dichter-Philosophen und Sprach-Geologen Oswald Egger, nicht aufzugeben: indem er weiter.

|