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Heimat im Märkischen Meer

Jenny Erpenbeck: Heimsuchung. Eichborn Verlag 2008. 190 Seiten.

Zuhause ist da, wo die zweite, siebte und vorletzte Treppenstufe knarrt, wo das Schlafzimmer nach Pfefferminz und Kampfer riecht und die farbigen Glasscheiben den Blick in den Garten lenken, der sich in Stufen bis hinunter an den See erstreckt. Zuhause ist da, wo vorher schon andere und nachher wieder andere zu Hause sein werden.

 

Alle hinterlassen ihre Spuren im Haus am See, von dem Jenny Erpenbecks „Heimsuchung“ erzählt. Ein Berliner Architekt baut in den dreißiger Jahren das Sommerhaus zwischen den Ferienhäusern eines jüdischen Tuchfabrikanten und eines Kaffee- und Teeimporteurs. Als die jüdischen Nachbarn ihr Haus verkaufen müssen, um ihre Flucht vor den Nazis zu finanzieren, übernimmt der Architekt ihr Badehaus. Nur der Sohn und seine Familie überleben den Holocaust. Nach dem Krieg wird dem Architekten die Mitarbeit an einem wichtigen nationalsozialistischen Bauprojekt zum Verhängnis. Er flieht aus der Ostzone in den Berliner Westen.

 

Das Haus am See wird jetzt von einer Berliner Schriftstellerin und ihrer Familie bewohnt. Nach dem Fall der Mauer verkauft die Erbengemeinschaft das Seegrundstück. Vor dem Abriss des Gebäudes hält sich die Enkelin – Jenny Erpenbecks „Alter Ego“ – als sogenannte „unberechtigte Eigenbesitzerin“ im Haus ihrer Kindheit versteckt.

 

Was bleibt, ist die Erinnerung an die Menschen, die den Flecken Erde im Märkischen Meer bewohnt und mitgeformt haben. Je näher Erpenbecks Roman an die Geschichte ihres „Alter Ego“ heranrückt, desto stärker wird die jetzt persönlich gefüllte, zuvor oft konstruiert wirkende Erzählung. Denn nicht alles, was überwältigend geschrieben ist, ist auch bewegend erzählt.

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