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Michaela Falkner: Kaltschweißattacken.

Requiem für/for Euphorie aufgeschlagene Knie. St. Pölten-Salzburg: Residenz, 2009. 96 Seiten; brosch.;
Rezension vom 17.02.2009 im literaturhaus.at

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Ich würde gerne am Rand der Welt liegen

Liebe sei die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln, schreibt Elfriede Jelinek. "Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf. Es ist der ewige Krieg.", antwortet Ingeborg Bachmanns namenlose Ich-Erzählerin Malina. Ivan heißt der von ihr Angebetete. Ivan ist auch der Name des vergötterten Mannes in Michaela Falkners neuem Buch "Kaltschweißattacken". Bis an die äußersten Grenzen wird hier die Kampfzone des ewigen Geschlechter-Krieges ausgemessen.

Die Liebe der namenlosen Ich-Erzählerin ist obsessiv: "Ich brauche dich ohne dich bin ich nichts." So maßlos ihre Liebe, so exzessiv sind die Attacken körperlicher Gewalt. Das wird vom ersten Satz an klar. Die Situation verschärft sich, als drei von der Mutter ungewollte Kinder geboren werden. Mehr Konkretes lässt sich aber kaum herauslesen.
Der experimentelle Text ist eine dicht gewebte Textur aus hingebungsvollen Liebesbezeugungen und Haßtiraden, Gewaltexzessen, Angst-, Schmerz- und Panik-Attacken; durchbrochen von Hilferufen und dem Wunsch, dass es endet: "Dann falle ich um ich falle einfach um." Im Gewebe verdichten sich Wortfelder zu situativen Fragmenten und Bedeutungsinseln: Es gibt Andeutungen einer Bahnfahrt, ein Wohnhaus mit Treppe und Garten, Krankenhaus- und Geburtsszenen, Weihnachtsvorbereitungen, Hinweise auf eine Kriminaluntersuchung. Der Rest findet in den Phantasien der Leser und in den Eingeweiden der Sprache statt.

In dem Maße, in dem die Autorin das eigene Ich zum Austragungsort literarischer Entwürfe macht, wird die Sprache körperlich. Folgerichtig wird der im Wortsinn verstandene Text-Körper zum direkten Objekt der Gewalt. Michaela Falkner führt in ihren "Kaltschweißattacken" eine Operation am offenen Sprachherzen vor. In ihrer literarischen Performance fügt sie dem Fleisch gewordenen Wort offene Wunden zu. Es bleibt die Gewissheit: "Es wird nicht wieder heil."

Die Autorin bricht der konventionellen Sprachlogik das Genick. Ihr Verfahren? Sie verschmilzt Sätze, Satzeinheiten oder -fragmente ohne Kommata miteinander. Damit öffnen sich die syntaktischen Elemente zum Vorangehenden und Folgenden. Die Wortbedeutungen werden unscharf, die Bezüge der einzelnen Satzsegmente uneindeutig. Der Effekt: Der gewohnte Ablauf der Lektüre wird zerstört; der Leser wird zum wiederholten Lesen gezwungen. Die Bedeutungen beginnen zu schillern, die möglichen Sinnebenen werden potenziert. Die Satz-Konglomerate bestehen außerdem oft aus assoziativen Reihungen, in denen Innensicht und Außensicht, Konkretes und Abstraktes, Beschreibendes, Ausrufe, Wünsche und Gedanken wild gemischt werden. Es ist wie ein "von innen gegen den Schädel rennen." Das Aneinanderfügen von scheinbar Unzusammenhängendem, von Gesprächsbrocken, surrealen Einsprengseln, Gedankenfetzen, Aussagen oder Befehlen zieht sich durch den gesamten Text.
"Die Texte", so die Autorin in einem Interview, "entstehen in einer Unzahl von Schichten, Überarbeitungen, indem immer neue Bilder aus ganz anderen Zusammenhängen zugefügt werden."

Präsens und Indikativ herrschen vor, knappe Subjekt-Prädikat-Konstruktionen, die wie Befehle klingen. Die Sätze kennen kaum Vergangenheit, nur selten Zukunft. Möglichkeiten oder Wünsche haben hier keinen Platz; genauso wenig poetische Partikel wie diese: "Hätte ich tatsächlich einen Wunsch frei ich würde gerne am Rand der Welt liegen." Tatsache ist: Die Gewalt ist maßlos. Es gibt keinen Schutz. "Es hört nie auf bis es aufhört." Extrem kurze Sätze wie Ein-Wort-Ausrufe wechseln mit mehrere Zeilen langen Satzkombinationen. Jedem Satz folgt ein Zeilenumbruch. Das erzeugt die enorm hohe Dynamik des Textes. Der stark variierende Rhythmus verdichtet sich mehr und mehr zur rauschhaften Komposition, die den Leser als Sprach-Welle überrollt. Michaela Falkners Text drängt gerade zum Vortrag, zur Performance. Ein Vortrag, der keinen Widerspruch duldet. Der gewalttätige Text trifft den schutzlosen Leser.

Die Lektüre von Michaela Falkners "Kaltschweißattacken" ist ohne Zweifel eine Grenzerfahrung. Genau darauf baut die Performance-Künstlerin. Denn Grenzerfahrungen, weiß die Autorin, künden von großer Energie. Falkner setzt dabei gezielt auf den "sensualen Aspekt" von Gewalt, auf den "apokalyptischen Kern" des gewalttätigen Textes. "Macht, Willkür, Gehorsam, Abhängigkeit, disziplinäre Gewalt, all das variiert vor unseren Augen. Es sind Taktiken der Konfrontationen, die ich in meinem Werk dekliniere. Träger ist bei mir immer das Wort, der Text.", erklärt Michaela Falkner. Ihr geht es darum, inhaltliche Schutzsituationen zu verlassen und sich jenseits jeglicher Moralität zu verorten.

Falkners "Kaltschweißattacken" sind radikal, provokativ und schonungslos. Die Autorin stellt uns vor die Frage, warum wir im Text unerträglich finden, wovon wir in der Realität tagtäglich umgeben sind. Sie schreibt sich direkt in die Lebenswirklichkeit des Lesers hinein. Was kann man von einem literarischen Text besseres behaupten?

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