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Ludwig Fels: Reise zum Mittelpunkt des Herzens.

Ludwig Fels: Reise zum Mittelpunkt des Herzens. Jung und Jung 2006. 159 Seiten.
Rheinischer Merkur, Nr. 21, Rubrik: Literatur, Donnerstag, 25. Mai 2006, S. 21.


Am Abgrund: Ludwig Fels liefert ein tragisches Beziehungsdrama. Der ungerechte Tod.

Mit Büchern wie „Ein Unding der Liebe“ oder „Rosen für Afrika“ schockierte der in Wien lebende deutsche Schriftsteller in den achtziger Jahren die Leser. Der harte Realismus und die Schonungslosigkeit seiner Prosa brachten ihm den Titel eines deutschen Charles Bukowski ein. Ludwig Fels. 1946 als Sohn einer Bauernmagd in der fränkischen Alb geboren, wuchs er in von Armut und Gewalt geprägten Verhältnissen auf. Nach einer Malerlehre schlug er sich als Hilfsarbeiter, Packer, Brauereiarbeiter und Barbesitzer in der Türkei durch. Seit 1973 schreibt er Romane, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Theaterstücke. Blut, Gewalt, Erotik und grelle Töne dominieren auch in seinem letzten, 2003 erschienenen Buch „Krums Versuchung“.


Eine „Reise zum Mittelpunkt des Herzens“ dagegen verspricht sein neuer Roman. Eine literarische Wende zur Empfindsamkeit? Tatsächlich handelt es sich um eine Geschichte über die Liebe. Eine Liebe am Rande des Todes. Der schwerkranke Tom verbringt die letzten Stunden mit seiner geliebten Frau Linda und dem besten Freund Jack. „Ich liebe dich“ durchzieht als immer wiederkehrendes Thema die Dialoge, und unmäßig viele Tränen werden vergossen. Denn Tom’s Eifersucht ist stärker als die unmenschlich starken Schmerzen und sein Mißtrauen größer als die Angst vor dem nahen Sterben. Mit seinem bitteren Argwohn treibt er Jack und Linda bis an die Grenzen ihrer Freundschaft und Liebe. Bis dahin, wo selbst das Absolute nicht mehr gültig zu sein scheint und sich die radikalste aller Fragen stellt: „Was, wenn die Liebe alles nur noch schlimmer macht?“ Die Antwort des Sterbenden ist bitter. Leben und sterben, so Tom, müssen alle. Aber nicht alle zur gleichen Zeit. Und genau das sei es, was die Ungerechtigkeit der Liebe ausmache. Oder ihre Gerechtigkeit. Letzten Endes ist also der Liebeszweifel nichts anderes als die Frage nach dem Sinn des Lebens und Sterbens? Die Furcht des Eifersüchtigen vor Verlust und Abschied jedenfalls trägt den Keim jener existenziellen Angst vor dem Tod schon in sich.

Eifersucht und Todesangst treffen sich in der vollständigen emotionalen Haltlosigkeit, die alles unterhöhlt. Alltag, Wirklichkeit und Wahrnehmung sacken urplötzlich ins Bodenlose. Genau dieser Zustand zwischen Leben und Tod ist es, den Ludwig Fels in seinem Roman unbarmherzig ausleuchtet. Die wenigen Stunden, die Tom dank Dr. Olsens mobiler Schmerzmittel-Pumpe noch bleiben, werden für alle zur Qual. Aus der Perspektive des sterbenden Tom zeigt Fels, wie die Realität von einer Sekunde auf die andere brüchig, die Wirklichkeit zu hauchdünnem Papier wird. Trotzdem: Jack und Linda versuchen, Tom festzuhalten. Ein Ausflug zur Insel, auf der die Drei einmal ihre schönsten Stunden miteinander verbracht haben, soll die Erinnerung konservieren. Und mit Fotos von Tom und Linda will Fotograf Jack seinen Freund vor dem allmählichen Verschwinden bewahren. Aber ein tödliches Unglück zerstört die Idylle. Nach Jacks Autokollision mit einem Reh zucken seine Läufe im Todeskampf wie die Beine des bewegungsunfähig auf der Wiese liegenden Tom. Nach der Rückkehr schwebt schon ein Schattenbalken über seinem Bett. Das surreale Ende: Der Sterbende erhebt sich zum gemeinsamen Abendmahl mit Linda, Jack und Dr. Olsen, wo er sich zwischen Fleisch und Wein auf den Tisch legt.

Ludwig Fels Buch ist nichts weniger als ein sentimentales Rührstück. Wie immer geht es ihm um Wahrhaftigkeit. Dafür gilt es, bis dorthin vorzustoßen, wo es wehtut. Mit drastischer Schilderung menschlicher Realität und expressiven Bildern. Darunter oft auch zu starke Metaphern, die, häufig in umständliche Wie-Formulierungen gebettet, manchmal nicht tragen. Immer wieder finden sich aber auch seltsam neue Bilder oder verstörend treffende Dialoge. Poetisch wehmütige und bitter zynische Passagen, die spontan berühren. Auch vor Kitsch und Pathos schreckt Fels nicht zurück, wenn er damit sein Ziel erreicht. In einem Plädoyer für den schlechten Geschmack bekennt er: „Ich mag Kitsch. Wenn es wehtut, finde ich das hervorragend. Das einzige, was ich möchte, ist angesprochen und ergriffen zu sein. Ob das ein guter Rocksong ist, (...) von mir aus, das ist ganz egal.“

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