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Ludwig Fels: Reise zum Mittelpunkt des Herzens.

Ludwig Fels: Reise zum Mittelpunkt des Herzens. Jung und Jung 2006. 159 Seiten.
Sendung vom 25.04.2006 im Deutschlandfunk Büchermarkt
http://www.deutschlandfunk.de/wenn-sich-eifersucht-und-todesangst-begegnen.700.de.html?dram:article_id=82686
Beitrag hören (Text gesprochen von Sylvia Göldel, DLF-Sprecherensemble)

Eine "Reise zum Mittelpunkt des Herzens" verspricht Ludwig Fels' neuer Roman. Es handelt sich um eine heftige Geschichte über die Liebe. Eine Liebe am Rande des Todes. Der schwerkranke Tom verbringt die letzten Stunden mit seiner geliebten Frau Linda und dem besten Freund Jack. Reichlich Tränen werden vergossen. Denn Tom's Eifersucht ist stärker als die unmenschlich starken Schmerzen und sein Mißtrauen größer als die Angst vor dem nahen Sterben. Mit seinem bitteren Argwohn treibt er Jack und Linda bis an die Grenzen ihrer Freundschaft und Liebe. Bis dahin, wo selbst das Absolute nicht mehr gültig zu sein scheint und sich die radikalste aller Fragen stellt: "Was, wenn die Liebe alles nur noch schlimmer macht?" Die Antwort des Sterbenden ist bitter. Leben und sterben, so Tom, müssen alle. Aber nicht alle zur gleichen Zeit. Und genau das sei es, was die Ungerechtigkeit der Liebe ausmache. Oder ihre Gerechtigkeit. Letzten Endes ist also der Liebeszweifel nichts anderes als die Frage nach dem Sinn des Lebens und Sterbens? Die Furcht des Eifersüchtigen vor Verlust und Abschied jedenfalls trägt den Keim jener existenziellen Angst vor dem Tod schon in sich.

Eifersucht und Todesangst treffen sich in der vollständigen emotionalen Haltlosigkeit, die alles unterhöhlt. Alltag, Wirklichkeit und Wahrnehmung sacken urplötzlich ins Bodenlose. Genau dieser Zustand zwischen Leben und Tod ist es, den Ludwig Fels in seinem Roman unbarmherzig ausleuchtet. Die wenigen Stunden, die Tom dank Dr. Olsens mobiler Schmerzmittel-Pumpe noch bleiben, werden für alle zur Qual. Aus der Perspektive des sterbenden Tom zeigt Fels, wie die Realität von einer Sekunde auf die andere brüchig, die Wirklichkeit zu hauchdünnem Papier wird. Tod und Eifersucht haben die Zentrifugalkraft schwarzer Löcher. Sie zerreißen jeden festgefügten Zusammenhang des Alltags und saugen alles in die bedrohliche Leere. Ein Nichts, das in Fels Roman hinter den Wörtern plötzlich überall sichtbar wird. Die Sprache ächzt unter der emotionalen Überlast. Die Dialoge knirschen unter dem Gewicht der existenziellen Fragen. „Das Nichts“, so Tom in seinem Todeskampf, „gab es nicht, aber was dann?“ Was ist da draußen, „wo man wie unter Wasser fliegt“? Eine Frage, auf die weder Dr. Olsen, noch seine Frau und Freund Jack eine Antwort wissen.

In ihrer Hilflosigkeit und Verzweiflung haben Jack und Linda der Unlösbarkeit dieser Frage nur das „Trotzdem“ ihrer Liebe entgegenzusetzen. Und sie versuchen, Tom durch die Erinnerung an vergangene glückliche Stunden festzuhalten. Ein Ausflug zur Insel, auf der die Drei einmal ihre schönsten Stunden miteinander verbracht haben, soll die Vergangenheit konservieren. Und mit Fotos von Tom und Linda will Fotograf Jack seinen Freund vor dem allmählichen Verschwinden bewahren. Aber auch auf dem Inselparadies dominiert Toms Eifersucht. Und ein tödliches Unglück zerstört die Idylle. Nach Jacks Autokollision mit einem Reh zucken seine Läufe im Todeskampf wie die Beine des bewegungsunfähig auf der Wiese liegeden Tom. Nach der Rückkehr schwebt schon ein Schattenbalken über seinem Bett. Nichts hilft mehr. Auch nicht die Religion. Ihre Worte seien „zu groß für jetzt“, so Tom auf Lindas Vorschlag, ihm aus der Bibel vorzulesen.

Die Schmerzen werden stärker, Tom halluziniert, und die Welt da draußen entzieht sich immer mehr. Wird zur Schattenwelt, zu der es um so weniger ein Zurück gibt, je stärker Toms Abwesenheit und seine Sehnsucht nach ihr wächst. Das surreale Ende: Der Sterbende erhebt sich zum gemeinsamen Abendmahl mit Linda, Jack und Dr. Olsen, wo er sich zwischen Fleisch und Wein auf den Tisch legt. Der religiöse Subtext durchzieht mit Verweisen auf Dreieinigkeit, Schmerzensmann und Passion den gesamten Roman. Aber Ludwig Fels versteht es, die biblische Leidensgeschichte in seiner Erzählung um Eifersucht, Liebe und Tod als menschliche Tragödie konkret und erlebbar zu machen. Auf der Suche nach Erlösung wird die Sprache zur fragilen Eisdecke. Darunter ein unauslotbarer Ozean aus Nichts, darüber die endlose Leere des Himmels. Nirgendwo ist Rettung. Allein die irdische Schmerzpumpe von Dr. Olsen bietet für Momente Betäubung.

Ludwig Fels' Roman ist ein sentimentales Rührstück. Wie immer geht es ihm um Wahrhaftigkeit. Dafür gilt es, bis dorthin vorzustoßen, wo es wehtut. Mit drastischen Schilderungen menschlicher Realität und expressiven Bildern. Starke Metaphern stoßen gelegentlich bis an die Schmerzgrenze des Lesers. Immer wieder finden sich verstörende Bilder und treffsichere Dialoge. Poetisch wehmütige und bitter zynische Passagen, die spontan berühren. Auch vor Kitsch und Pathos schreckt Fels nicht zurück. Sein Bekenntnis: "Ich mag Kitsch. Wenn es wehtut, finde ich das hervorragend. Das einzige, was ich möchte, ist angesprochen und ergriffen zu sein. Ob das ein guter Rocksong ist, (...) von mir aus, das ist ganz egal."

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