// Startseite // Buchkritik // 

Peter Handke: Leben ohne Poesie.

Peter Handke: Leben ohne Poesie. Gedichte. Hrsg. Von Ulla Berkéwicz. Suhrkamp 2007.
Die O-Töne von Peter Handke stammen aus: "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt", Hajo Steinert: Dichterstimmen II. 2. CD, Hörverlag, 24,95 Euro.

Sendung vom 24.03.2008 im Deutschlandfunk

http://www.deutschlandfunk.de/innenwelt-und-aussenwelt.700.de.html?dram:article_id=83533
fileadmin/dokumente/Audios/20070603_dlf_kaleko_.mp3Beitrag hören (Text gesprochen von Kerstin Fischer, Zitate gesprochen von Josef Tratnik)

Er sei kein Lyriker, sagt er. Die dennoch entstandenen Verse nennt er selbst "Gelegenheitsgedichte". Tatsächlich ist seine lyrische Produktion im Vergleich zum umfangreichen Prosawerk und den dramatischen Arbeiten überschaubar; und auch daher nur selten im Blickfeld literarischer Kritik und germanistischer Untersuchungen. Der Autor sieht sich als Erzähler. Eigentlich seltsam, wo doch viele seiner Buchtitel poetischer klingen als manche Gedichtzeile: Ob "Wunschloses Unglück" oder "Das Jahr in der Niemandsbucht", "Das Gewicht der Welt" oder "Der kurze Brief zum langen Abschied".

Die Poetisierung der Welt wird von Peter Handke sogar zum Programm erhoben. Denn Handke ist "überzeugt von der begriffsauflösenden und damit zukunftsmächtigen Kraft des poetischen Denkens", so der Autor in seiner Büchner-Preis-Rede. Poetisch klingt auch seine Erzählsprache. Wenn man Prosa ernst nähme, erklärt er in einem Gespräch mit Herbert Gamper, sei sie "genau so schwierig und genau so ein Prozess wie das Gedichteschreiben." Viele Textpassagen lesen sich deshalb fast wie Gedichte ohne Zeilenfall. In seiner Lyrik wiederum finden sich oft seitenlange sogenannte Erzähl- oder Prosagedichte. Diese, so scheint es manchmal, sind gerade da am besten, wo sie der Prosa am nächsten kommen. Eins ist jedoch klar: Handkes Lyrik ist notwendig im Kontext seiner Prosa und Theaterstücke zu lesen. Die Gedichte Peter Handkes sind jetzt neu erschienen. "Leben ohne Poesie" heißt der Band.

Er enthält in angegebener Reihenfolge: "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" von 1969, die Gedichte aus "Das Ende des Flanierens" von 1977, durchmischt mit den Versen der fünf Notizbücher aus einem Zeitraum von 1977 bis 2005, das "Gedicht an die Dauer" von 1986 und die drei Langgedichte aus dem 1974 erschienenen Band "Als das Wünschen noch geholfen hat". Die Anordnung der vier Teile entspricht nicht der Chronologie der Erscheinungsdaten. Auffällig ist vor allem die Schlussstellung der Gedichte aus "Als das Wünschen noch geholfen hat". Die drei in veränderter Reihenfolge abgedruckten programmatischen Gedichte unter der Überschrift "Leben ohne Poesie" markieren einen Wendepunkt in Handkes Leben und Werk.

Gerade siebenundzwanzig Jahre ist Peter Handke, als 1969 sein erster Lyrikband "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" erscheint. Dieser überrascht mit nach konventionellem Verständnis sehr unpoetischen Texten wie dem legendären Gedicht "Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968" oder der "Zugauskunft"; hier ein Ausschnitt des damals noch unveröffentlichten Textes vom Autor selbst gelesen:

Zugauskunft

"Ich möchte nach Stock."
Sie fahren mit dem Fernschnellzug um 6 Uhr 2.
Der Zug ist in Alst um 8 Uhr 51.
Sie steigen um in den Schnellzug nach Teist.
Der Zug fährt von Alst ab um 9 Uhr 17.
Sie fahren nicht bis nach Teist, sondern steigen aus in Benz.
Der Zug ist in Benz um 10 Uhr 33.
(…)

Neben den in der Tradition des object trouvé stehenden enthält der Band überwiegend Texte in der Nachfolge der Sprechstücke und des ein Jahr zuvor erschienenen "Kaspar". Dort, so Handke in seinem poetologischen Aufsatz "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms", werde kein Bild mehr von der Wirklichkeit gegeben, werde die Wirklichkeit nicht mehr gespielt und vorgespiegelt, sondern mit Wörtern und Sätzen der Wirklichkeit gespielt. Ein Beispiel: Peter Handke selbst liest aus seinem Gedicht "Die Reizwörter"

(…)
die Wörter
die das Verbrechen betreffen
sind Reizwörter für den Schuldigen
sind Schuldwörter
(…)
das Reizwort des Streifenbeamten ist
QUERSCHLÄGER
(…)
das Reizwort des Mörders ist
LUFTZUG
mein Reizwort ist
jedes Wort
jedes Wort
ist ein Reizwort:

URABSTIMMUNG
ROTKÄPPCHEN
MEHRZWECKTISCH
RESTPOSTEN
FLUCHTWEG
GÄNSEKLEIN
FREIWILLIG
NIEMANDSLAND
WÜHLMAUS
LAVA
ÄTZEN
WENN
WO
NOVARA

In Gedichten wie "Steigerungen", "Verwechslungen", "Die Einzahl und die Mehrzahl" oder "Unterscheidungen" demonstriert Handke mit und an der Sprache, wie grammatikalische Schemata unser Sehen und Denken, Wahrnehmung und Bewusstsein prägen. Häufig geht er in seinen Sprachspielen von Gemeinplätzen aus, wiederholt sie, stellt die Worte und Satzmodelle so lange um, bis sich die Begriffe und ihre konventionellen Bedeutungen für den Moment des Gedichtes auflösen. Wie hier in seinem von ihm selbst gelesenen Gedicht "Die Wortfamilie":

(…)
ein Kreis von /
Gleichgesinnten;
ein Schwarm von /
Heuschrecken;
eine Kolonie von /
Blattläusen;
eine Flucht von /
Zimmern;
ein Rattenschwanz von /
Beschwerden;
eine Masse von /
Fußballtoten:

eine Runde von /
Bankräubern
läßt einen Schwarm von /
Butterbrotpapier
vor dem Tresor zurück;
(…)
eine Rotte von /
Papiersäcken
platzt;
ein Kreis von /
Eingekreisten
ergibt sich;
ein Schock von /
feuchtem Schnee
klatscht nieder auf die Rudel /
der Lebenden
und die Horden /
der Toten
(…)

Falsch wäre es, Handkes Gedichte auf Sprachkritik zu reduzieren. Mit seinen Texten wendet er sich grundsätzlich gegen jede individualitätsbedrohende Fixierung. Es gehe ihm aber nicht allein darum, Klischees zu entlarven, so der Autor im Aufsatz "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms", "sondern mit Hilfe der Klischees von Wirklichkeit zu neuen Ergebnissen über die (meine) Wahrheit zu kommen." Handkes literarische Aufmerksamkeit geht gleichzeitig in zwei Richtungen: Sie gilt der Innenwelt und Außenwelt. Der Weg zu einem neuen Bewusstsein führt nur über die Dinge und Vorgänge außerhalb. Das Titelgedicht "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" zeigt das exemplarisch. Peter Handke liest selbst:

(…)
Wir betreten unser Bewusstsein:
wie in einem Märchen ist es dort früher Morgen
auf einer Wiese im Frühsommer:
wenn wir neugierig sind;
(…)
Jemand sieht so viele gleichgültige Gegenstände
und verliert sich nach und nach aus dem Bewußstein-
dann sieht er einen Gegenstand
den er nicht sehen will
oder den er gern länger sehen möchte
oder den er gern erwerben möchte
so daß der Gegenstand ein Gegenstand
seiner Schaulust
seines Willens
seines Unwillens wird
und er ihn anschaut
oder ihn abwehrt
oder ihn haben will:
so kommt er wieder zu Bewußstsein
so kommen wir wieder zu Bewusstsein

"Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" ist in mehrfacher Hinsicht programmatisch. Der Titel kann als Formel zum Werkverständnis Peter Handkes gelesen werden. Drei Lesarten können als Schlüssel für Handkes literarische Verfahren und poetologisches Programm dienen.
Zum einen: Im Wechsel von innen und außen geht es in erster Linie um einen Wahrnehmungsprozess. Entscheidend dabei ist der Blickwechsel. Jene spezifische Doppel-Perspektive, die gleichzeitig sowohl auf die Welt als auch auf das Ich, auf das Subjektive und das Objektive, das Konkrete und das Abstrakte ausgerichtet ist. Ziel ist die von selbstreflexiver Erkenntnis ausgehende Erkundung von intersubjektiv gültigen Sinnzusammenhängen.
Die zweite Lesart: Die Formulierung "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" bezieht immer den Widerspruch mit ein. Die These fordert die Antithese und das Setzen den Gegensatz. Sowie beim Schreiben auch nur der Ansatz eines Begriffs auftauche, so der Autor in seiner Büchner-Preis-Rede, "weiche ich - wenn ich noch kann - aus in eine andere Richtung, in eine andere Landschaft, in der es noch keine Erleichterungen und Totalitätsansprüche durch Begriffe gibt."

Die dritte Verständnisebene: Die Formel von der "Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" postuliert eine Art erkenntnistheoretischen Dreisprung: Es handelt sich um eine Bewegung, welche zwingend eine Gegenbewegung fordert und so fort. Das heißt, bei Handkes literarischen Verfahren handelt es sich um einen nie endenden Prozess. Nicht zufällig tauchen in Handkes poetischer Terminologie immer wieder Schlüsselwörter der Bewegung wie gehen, fließen oder mäandern auf. Was zählt, sind vor allem jene vom Autor immer wieder beschworenen Schwellenzustände zwischen zwei Bewegungen. "Aber ich lebe nur von den Zwischenräumen" heißt ein wichtiges Buch mit Gesprächen Herbert Gampers mit dem Autor.

Ein entscheidender biografischer Umbruchsprozess findet für Handke im Zeitraum zwischen 1972 und 1974 statt. Dieser schlägt sich in einer radikalen Wende im Werk nieder. Der Autor wohnt mit seiner jungen Familie in einer Neubausiedlung in Kronberg bei Frankfurt. Dort schreibt er über Monate nichts als das Prosagedicht "Leben ohne Poesie". Für Handke ist es ein lähmender Moment des Stillstands, der Schreibkrise, des drohenden Sprachverlusts. 1973 zieht er nach Paris und findet dort mit der 1975 erscheinenden Erzählung "Die Stunde der wahren Empfindung" seine literarische Stimme wieder. Übersehene Alltagsdinge werden dort zu verrätselten Zeichen für eine wieder als sinnvoll erlebte und beschreibbar gewordene Welt. Das Buch "Als das Wünschen noch geholfen hat" erscheint ein Jahr zuvor. Die darin enthaltenen Gedichte spiegeln die existenzielle Schwellenerfahrung wider. Im gleichnamigen ersten, noch in Kronberg entstandenen Gedicht beklagt der Autor ein als sinnlos empfundenes…

Leben ohne Poesie

In diesem Herbst ist die Zeit fast ohne mich
vergangen
(…)
In den Zeitungen stand alles schon schwarz auf weiß
und jede Erscheinung erschien von vorneherein als ein Begriff
(…)
Söldner hatten sich in die Sprache verirrt und
hielten jedes Wort besetzt
erpreßten sich untereinander
indem sie die Begriffe als Losungsworte
gebrauchten
und ich wurde immer sprachloser
Ich
(…)
wollte (…) aufhören
schon bevor ich zu schreiben anfing
Dann mit der Schamlosigkeit
des Sich-Ausdrückens
ist das Vorausgedachte von Wort zu Wort
gegenstandsloser geworden
und wirklich mit einem Schlag
wußte ich wieder was ich wollte
und bekam eine Lust auf die Welt
(…)
Ich schrieb richtig MIT
sagte lange Verschwiegenes
und dachte dann wörtlich
"So jetzt kann das Leben wieder weitergehen"
(…)
Wie stolz bin ich auf das Schreiben gewesen!

In einem Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold 1975 in Paris bestätigt Handke, daß die "Stunde der wahren Empfindung" die Erzählung zu den Gedichten sei. Handke überschreitet hier deutlich den Bereich der sprach- und erkenntniskritischen Systemattacken der Sprechstücke und erweitert die thematisierten Probleme der Wahrnehmung und Kommunikation um die der Existenz. Sein neues Hauptanliegen: Wie kann man das Glück darstellbar machen? Auch die Entwicklung im zweiten Gedicht des Bandes "Das blaue Gedicht" lässt sehr viel Ähnlichkeit mit der Bewusstseinsbewegung in der "Stunde der wahren Empfindung" erkennen:

Tief in der Nacht
(…)
fing ich bei Bewußtsein
zu klumpen an
(…)
Vor Bedrückung
gab es plötzlich keine Erinnerung mehr
keinen Zukunftsgedanken
Ich lag langausgestreckt in meiner Angst
(…)
analphabetisch vor der Entsetzlichkeit außer mir -
(…)
Und dann
auf einmal
(…)
buchstabierend vor Todesangst
(…)
ordneten sich die unbeschreiblichen Einzelheiten
der finsteren Neuzeit
zu ihrem verlorenen Zusammenhang
(…)
der Sinn ist wieder da!
(…)
und jedes für sich Einzelne
verschränkte sich ineinander:
die Blätter vor dem Fenster
das sich wach singende Kind
ein Fachwerkhaus in der Dämmerung
das helle Blau an den Bildstöcken
aus der Zeit
als man noch an die Ewigkeit glaubte
(…)
Zu existieren
Fing an
Mir etwas zu bedeuten -
(…)

Ebenso plötzlich und unerwartet, wie er sich einstellt, kann der neu gewonnene Sinn, "das zwei-einige poetische Weltgefühl (…) zwischen zwei Schritten", wie es im abschließenden Gedicht "Die Sinnlosigkeit und das Glück" heißt, aber auch wieder verloren gehen." Alles wird zu einem einzigen "Windbruch", zum "Durcheinander. Und alles ausdruckslos." So lange, bis in einem unerwarteten Moment etwas Neues im Blickfeld erscheint, das Gefühl zurückkehrt und der unbeschreibliche Tag wieder beschreibbar wird. Täglich neu muss sich das lyrische Subjekt in der fundamentalen Spannung zwischen Heil und Hoffnungslosigkeit, Verdammung und Verklärung behaupten.

Dieser dauernde Wechsel von Verzweiflung und Zuversicht, ernüchternder Realität und emphatischer Utopie bleibt das hervorstechende Charaktermerkmal von Handkes mäanderndem Schreiben - auch in den 1977 zum ersten Mal in einem Lyrikband erscheinenden Gedichten unter dem Titel "Das Ende des Flanierens". Das Glück kennt keine Dauer, immer wieder bricht der neu gewonnene Zusammenhang zu bedrohlichen Einzelheiten auseinander; wie hier im Gedicht "Die Verlassenheit":

Das Ende des Flanierens

Ruckhaft stand ich auf
(…)
und die Dinge lagen zur Hand
wie ausgerissene Pflastersteine
(…)
Es gab bis über die Höhe der Augen
Keine Außenwelt mehr

Im neu herausgegebenen Sammelband "Leben ohne Poesie" sind die Gedichte vom "Ende des Flanierens" "gemixt", so der Ausdruck Peter Handkes, mit Versen aus den 1977 - 2005 erschienenen Notizbüchern und Journalen. In dieser Zeit entsteht zwischen 1979 bis 1981 auch Handkes Tetralogie, wo er in Alaska, auf dem Mont Saint Victoire oder in der Beschreibung des Kindes die Momente poetischer Zusammenschau festzuhalten versucht. Jene Augenblicke, in denen, so Handke in "Das Gewicht der Welt", Erinnerung und Sehnsucht, Denken und Fühlen, Körper und Seele, Einzelmensch und Gesellschaft zu einem Gefühl zusammenwirken. Wie hier im Gedicht "Das Ende des Flanierens", wo

(…)
Lebensaugenblicke springen wie Katzen
zwischen den Gräbern der großen Friedhöfe
Die trockenen Ahornsamenbüschel sirren
und die Wolken ziehen am Himmel
(…)
Zufrieden mit einer Arbeit ging ich ins Café
(…)
Pilger mit den schmerzblinden Augen
Bevor du einschlägig bekanntgemacht bist
von den uferwechselnden Flaneuren:
Gesammelt an der Schreibmaschine
halte ich deine offiziell nicht bestätigte
Zwischenzeit fest
Unterschütterlich stehen meine Worte da
für dich
ohne mich

Auch im 1986 erschienenen Langedicht und vierten Teil des Bandes, dem "Gedicht an die Dauer", geht Handkes literarische Suche nach einem intersubjektiv gültigen Moment weiter. Er ist auf Gegenstände, Situationen und Verhaltensweisen aus, so der Germanist Peter Pütz, deren komponiertes Zeichenensemble jeweils zum Suchbild für noch nicht besetztes und tief bedrohtes Dasein wird. In dem fünfundfünzig Seiten langen poetischen Text sucht er jene immer wieder von Handke beschriebenen Schlüssel-Orte auf, wo er dem Glück für eine kurze Weile Dauer verleihen konnte. Da ist zum Beispiel der Griffener See:

Gedicht an die Dauer

(…)
In der Kindheit begleitete ich den Großvater dorthin zum Futterschneiden.
(…) Wir stießen vom Ufer ab
in einem fast viereckigen Nachen,
(…)
und stakten durch dichtes Schilf hinaus zu der Stelle,
(…) wo die grünlichen saftigen Wasserpflanzen standen,
Im Augenblick liegt ein Halm, längst vertrocknet,
neben mir auf dem Schreibtisch,
(…) es knistert in meinen Händen,
(…) und ich höre wieder die Frühregentropfen von damals
in unseren Nachen fallen.
(…)

Und weiter:

(…)
Ja, diese Sache, der mit den Jahren die Dauer entspringt,
sie ist wesentlich unscheinbar,
der Rede nicht wert,
wohl aber es Festhaltens durchs Schreiben:
Denn sie muß meine Hauptsache sein.

Den Abschluss des Gedichtbandes "Leben ohne Poesie" bildet aber nicht das 1986 veröffentlichte "Gedicht an die Dauer" und auch nicht die im Zeitraum von 1977 bis 2005 erschienenen Verse aus "Das Ende des Flanierens" und den Journalen. Der vierte und letzte Teil des Buchs besteht aus den drei schon 1974 in "Als das Wünschen noch geholfen hat" veröffentlichten Langgedichten aus der Zeit des Umbruchs und des Umzugs von Kronberg nach Paris. Diese sind zudem nicht in ihrer ursprünglichen Reihenfolge angeordnet. Das zeitlich zuerst, noch in Deutschland entstandene Gedicht "Leben ohne Poesie" steht hier am Schluss. "Leben ohne Poesie" ist der vierte Teil und der komplette Gedichtband überschrieben.

Diese exponierte Positionierung kann kein Zufall sein. Das Gedicht markiert den Zeitpunkt vor einem radikalen Neuanfang. Im Moment absoluter Sprachlosigkeit gelingt es dem Schriftsteller-Ich, sich selbst aus dem Nichts heraus neu zu erfinden. Diese existenziellen Schwellenzustände sind Augenblicke höchster Gefährdung, bergen aber auch das größte poetische Potenzial. Diese Momente sind für den Schriftsteller die entscheidenden. Da, wo nichts mehr hilft und nichts anderes mehr gilt, so Peter Handke in seiner Büchner-Preis-Rede, "als das hoffnungsbestimmte poetische Denken, das die Welt immer wieder neu anfangen läßt, wenn ich sie in meiner Verstocktheit schon für versiegelt hielt, und es ist auch der Grund des Selbstbewußtseins, mit dem ich schreibe."

Handke wird es wohl so gewollt haben: die spartanische Neuausgabe seiner Gedichte mit kargen editorischen Anmerkungen, ohne Anhang, Kommentar, ergänzendes Vor- oder Nachwort - ein Understatement, das dem Autor ansonsten gar nicht eigen ist. Vielleicht möchte er seine Lyrik nicht überbewertet wissen. Eine Poesie, der oft die Bodenhaftung fehlt, das prosaische Gegengewicht der langsamen, mäandernden Erzählung.

|