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Beseelte Technik

Heinrich Hauser: Schwarzes Revier. Weidle Verlag 2010. 223 Seiten.

Sendung vom 09.08.2011 im Deutschlandfunk, Moderation Hubert Winkels
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(Zitate gesprochen von Christoph Wittelsbürger, DLF-Sprecherensemble)

 

Der 1901 in Berlin geborene Heinrich Hauser schrieb Romane, Reisebücher und Firmenschriften, übersetzte u.a. Liam O'Flaherty, fotografierte, filmte, fuhr zur See und flog. 1938 emigrierte er in die USA. Auf Initiative Henri Nannens kehrte er nach Deutschland zurück und wurde für kurze Zeit Chefredakteur des "Stern". 1955 nimmt er sich am Ammersee das Leben. Heinrich Hausers Ruhrgebiets-Reportage "Schwarzes Revier" aus dem Jahr 1928 ist ein Klassiker. Als Siebenundzwanzigjähriger fuhr er im Auftrag des S. Fischer Verlages mit einem Cabriolet durch den Ruhrpott. 1930 erschien "Schwarzes Revier" erstmals. Als Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung des RuhrMuseums in Essen 2010 wurden die von Schwarz-Weiß-Fotografien illustrierten Reportagen erstmals vom Weidle Verlag, ergänzt um ein sehr informatives Nachwort von Andreas Rossmann, noch einmal neu aufgelegt.


Schwerer gelber Rauch lastet auf einer vom Bergbau völlig zerwühlten und vom Kohlestaub geschwärzten Industriehölle. Bei seiner Autofahrt durchs Revier im Jahr 1928 zeigt sich Heinrich Hauser immer das gleiche Muster: Fördertürme und Räder der Zechen, Kokereien und Kohletürme mit Wolken von Wasserdampf, Hochhöfen, Transportbrücken und Schienen der Hüttenwerke. Dazwischen Arbeitersiedlungen. Vor den schwarzen Schlackenbergen Kinder, die mit gesammelten brennbaren Fetzen "Flämmen" spielen und im grauen Wasser aus den Kühltürmen Schiffchen segeln lassen. Das einzige Weiß hängt auf der Wäscheleine. So weit das Bild "Gesehen vom Steuerrad", wie der junge Reporter das erste Kapitel seiner Ruhrgebiets-Reportage überschreibt. Danach geht Hauser Schritt für Schritt ins Detail – frei nach seiner selbst aufgestellten Maxime "Seien wir exakt, wie es das Intime ist". Er beschreibt Landschaft, Städte, Kanäle, die Zeche Hannibal, den Ruhrorter Hafen, Hochöfen, Röhrenwalzwerk, Eisengießerei, Drahtwalzwerk, Güterbahnhof und Kokerei. Texte von maximal acht Seiten, unterbrochen von Fotosequenzen. Die Bilder, oft vom Auto aus geschossen, manchmal unscharf, dokumentieren sachlich, was der Durchfahrende sieht. Die Texte dagegen sind von emotionaler Genauigkeit mit großem Respekt vor den Menschen und ihrer Arbeit und einer nahezu sinnlichen Leidenschaft für Technik. Beim Besuch einer Eisengießerei beschreibt Hauser das Material des Formers wie ein Liebender den Körper seiner Geliebten:

 

Da ist der Formsand, von dem es Hunderte von Arten gibt, in allen Farben zwischen Weiß und Schwarz. (...) Da sind Graphite, die weicher sind als Mädchenwangen, gemahlene Schamottsteine, die sich zwischen den Fingern verreiben mit einem knusprigen Geräusch, wie wenn ein Pferd Hafer kaut. Da sind Erdarten, über die die Fingerspitzen weicher gehen als über Samt.


Gigantische Gußformen von 12 Metern Durchmesser für das Gehäuse einer Dynamomaschine versehe der Former kunstvoll wie ein Bildhauer mit engen Höhlungen, dünnen Rippen, Winkeln und scharfen Kanten. Mit Hochachtung begegnet Hauser auch Arbeiten, bei denen es angeblich allein auf Körperkraft, nicht aber auf Geschicklichkeit ankommt. Er fährt mit den Kumpels unter Tage und sieht Bergarbeiter in Flözen von nur achtzig Zentimetern Höhe im Liegen arbeiten. In schmalen Höhlen kriechend, schaufeln sie in akrobatischsten körperlichen Stellungen die Kohle über den eigenen Leib hinweg auf die Schüttelrutsche. Mit "Augen, die das Wundern noch nicht verlernt haben", entdeckt Hauser immer wieder gerade im Kleinen das Große. Beim Besuch der Schmiedepresse wundert er sich über einen kleinen Mann. Dicht am rotglühenden Riesenwerkstück fächelt er sich mit einem großen weißen Lederhandschuh scheinbar unablässig Kühlung zu. In Wahrheit dirigiert dieser Schmiedemeister mit seinem Handschuh die Bearbeitung von fünfzig Tonnen schweren Kurbelwellen mit einem Riesenhammer – und das auf eine Genauigkeit von wenigen Millimetern. Mindestens ebenso kunstvoll werden im Drahtwalzwerk aus hundertachtzig Kilo schweren Stahlblöcken Drähte bis zum feinsten Fünfmillimeterdraht gefertigt. Fasziniert beschreibt Hauser den beinahe magischen Augenblick, in dem der Draht von einem Arbeiter höchst akrobatisch aus der Luft gefangen wird ...

 

(...) und während die Schlinge sich um seinen Körper schlingt, geschieht etwas Außerordentliches: Mitten in der Luft verläßt die Zange den Draht, läßt ihn völlig los für den Bruchteil einer Sekunde. Die rote Schlinge fällt nicht. Sie hat keine Zeit zu fallen. Sie steht sozusagen in der Luft. Die Zange wirbelt herum, wobei der Mann den Griff der Hände wechselt, sie schießt vor und greift den schwebenden Draht von neuem (...)


Die Technik scheint beseelt in Hausers Reportagen. Aber die Seele der Technik ist der Mensch, der sie bedient. Seine Arbeit wird dadurch nicht weniger hart. Heinrich Hauser erfährt das am eigenen Leib. Mit siebzehn Jahren arbeitet er einige Monate am Hochofen. Als Hilfsarbeiter schaufelt er fuhrenweise nassen Lehm und Klebsand. Die Schwielen schneidet er sich sonntags mit dem Messer von den Händen. Ein Abstich ist körperliche Schwerstarbeit, die Schmelzer harte Kerle. In den kurzen Pausen greift der Vorarbeiter zum Anzünden seiner Pfeife mit bloßen Händen ein glühendes Eisenstück aus der Rinne. Er selbst fällt vor Erschöpfung meist direkt in der Gießhalle in minutenlangen Schlaf.

 

Aber Hausers Reportagen sind weder ein Aufruf zum Klassenkampf, noch die Glorifizierung der Arbeiter zu Königen der Hochöfen oder Drahtzieher-Artisten. "Schwarzes Revier" ist einfach nur "exakt, wie es das Intime ist." Andreas Rossmann ordnet in seinem fundierten Nachwort die durchaus umstrittene Perspektive des jungen Reporters in die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge ein. Und er zeigt, was „Schwarzes Revier“ auch nach Jahrzehnten noch lesenswert macht. Denn die Arbeitsvorgänge sind dem heutigen Leser aus Fernsehbildern zwar längst bekannt. Aber Hausers Beschreibungen sind von so intimer Genauigkeit, dass sie vor dem geistigen Auge wie zum ersten Mal entstehen.

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