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Dialog mit der Einsamkeit

 

Und zum Glück fehlt mir nichts - nur Du: Die Briefe des Horaz. Aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt von Christoph Schmitz-Scholemann, Mit einem Vorwort von Uwe Tellkamp. Elsinor Verlag, Coesfeld, 116 Seiten.
Sendung vom 28.07.2020 im Deutschlandfunk, Moderation Angela Gutzeit
Beitrag hören (Zitate gesprochen von Thomas Pelzer vom DLF-Sprecherensemble)

Horaz, eigentlich Quintus Horatius Flaccus, war ein römischer Dichter und ein Klassiker des Goldenen Zeitalters der römischen Literatur. Er war neben Vergil der bedeutendste Dichter in der Zeit des ersten römischen Kaisers Augustus (63 vor bis 14 nach Chr.). Er schrieb Oden und Epoden in lyrischen Versmaßen und Satiren und Episteln in daktylischen Hexametern. Besonders bekannt und bis in die Neuzeit hinein von Einfluss auf die lyrische Dichtung ist seine poetische Abhandlung „Ars poetica“ sowie die Oden „Carmina“, mit denen er zum Urvater der römischen Lyrik wurde. Horaz wurde insbesondere von der griechischen Lyrik geprägt. Seine eigenen Dichtungen, zu denen Oden, Epoden/Schlussgesänge, Satiren und Episteln gehören, beeinflussten nachhaltig die Lyrik nachfolgender Dichter, von der Antike über das Mittelalter bis hin zu den englischen und deutschen Dichtern des 18. und 19. Jahrhunderts. Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried von Herder schufen berühmte deutsche Horaz-Nachdichtungen. Jetzt hat Christoph Schmitz-Scholemann die Briefe aus Horaz Spätwerk noch einmal neu übersetzt.

Seine Briefe sind ein Dialog mit der Einsamkeit. Horaz schreibt sie aus der Abgeschiedenheit seines Landguts in den Sabinerbergen in der Nähe von Rom. Die Briefe sind nicht als reale Mitteilungen einer Person an eine andere geschrieben, sondern von vorneherein als literarische Kunstwerke konzipiert. Obwohl sie an reale Personen des öffentlichen Lebens adressiert sind, die in Rom jeder kannte, meist an Freunde des Autors. Einige sind noch bekannt, wie der Dichter Tibull, der Sponsor Maecen oder Tiberius Nero, der Schwiegersohn des Kaisers.

 

Versepisteln als völlig neue Kunstform

 

Horaz entwickelt in seinen „epistulae“ eine bis dahin völlig neue Kunstform des literarischen Briefs. Diese Briefform ermöglicht Horaz einen sehr privaten Ton und das Schreiben aus subjektiver und perspektivischer Sicht. Sie ist der Schlüssel für die Intimität und zeitüberschreitende Aktualität der Briefe des Horaz. Wie Uwe Tellkamp in seinem vorangestellten poetischen Essay betont:

„Gibt es ein tieferes Gespräch als das im Wechsel von Briefen? (…) Lese ich die Horazbriefe (...), habe ich das Gefühl, diesen Menschen und dem, was sie bewegte, ganz nahe zu kommen, näher womöglich, als es in der Begegnung von Angesicht zu Angesicht gewesen wäre; (...) das verschüttete Milchglas, das ein Horaz beschreibt, durchwandert die Jahrhunderte, die aufgezeichnete Geste bleibt lebendig, wenn Schlachten und Könige längst vergessen sind; es ist dieses Milchglas, das wir kennen.“

 

Horaz „Sabinum“, ein vom Gönner Maecen geschenktes Anwesen, ist für Horaz schon seit zehn Jahren Rückzugsort zum ungestörten Schreiben und Nachdenken. Im Jahr 23 vor Christus beginnt er dort mit etwa Mitte vierzig seine „epistulae“ zu schreiben. Der im damaligen Rom für seine Lyrik berühmt gewordene Dichter wendet sich mit den Episteln in seinem Spätwerk ausdrücklich von der Dichtung ab hin zur Philosophie. Seine dreiundzwanzig Briefe ergeben in der Summe ein Buch über die große Frage der praktischen Ethik: Wie kann der Mensch ein gutes Leben führen?

 

Glück ist machbar - Konzepte antiker Selbstsorge

 

Vorbild waren wahrscheinlich die Briefe des attischen Philosophen Epikur. Horaz bezeichnet sich selbst als seinen Schüler. Epikur war ein Lehrer der „Lebenskunst“. Seine Botschaft: „Glück ist machbar“ - wenn es gelingt, sich von Schmerz und Furcht zu befreien. Dazu gelte es, mit Vernunft Unbegreifliches einzuordnen, Maß zu halten, seine Bedürfnisse einzuschränken und im Verborgenen zu leben, um sich nicht vom eigenen Weg ablenken zu lassen. Von dieser Kunst der Lebenspraxis handeln Horaz Briefe. An seinen Freund Lollius Maximus schreibt er:

 

„Möge mir bleiben, was jetzt für mich da ist, oder auch etwas weniger, soviel wie ich brauche zum Leben, wenn denn die Götter wollen, daß ich noch lebe; einige Bücher, Weißkohl und Wein bis zur nächsten Ernte, und daß ich nicht immer wanke und schwanke aus Angst vor der Ungewißheit der nächsten Stunde.“ Aber es ist genug, von Jupiter das, was er gibt und nimmt, zu erbitten. Leben möge er geben, Nahrung möge er geben – das innere Gleichgewicht will ich mir selbst erschaffen.“

 

Nur mit heiterer Gelassenheit erreicht man die „Windstille der Seele“. Glück ist eine Frage der Haltung. Epikurs Konzepte antiker „Selbstsorge“ sind durchaus aktuell. Seine Rezepte zur Seelentherapie klingen nicht selten wie ein therapeutisches Beratungsgespräch. Weltbetrachtung ist in Epikurs Lebenskunst therapeutisches Programm. In diesem Sinne versucht auch Horaz in seinen Briefen, die Welt als Textbuch für die Kultvierung des Selbst zu lesen.

 

Lebensschrift über die Kunst der Lebenspraxis

 

Horaz arbeitet ein Jahrzehnt an seiner „Lebensschrift“. So bezeichnet der 2008 mit seinen Roman „Der Turm“ bekannt gewordene Schriftstellerkollege Uwe Tellkamp in seinem Vorwort die von Christoph Schmitz-Scholemann jetzt neu übersetzten Versepisteln. Horaz längster und bekanntester Brief über die Dichtkunst ist in diesem Band nicht enthalten. „de arte poetica“ wird als gesondertes Werk betrachtet. Im Unterschied zu den berühmten Horaz-Nachdichtungen von Wieland oder Herder verzichtet die Neuübersetzung auf das homerische Versmaß zugunsten einer rhythmisierten Prosa, durch die der Hexameter hindurchklingen soll, so der Übersetzer selbst. In der Tat liest sich seine am lauten Lesen und Sprechen orientierte Prosa leicht und melodisch. Die moderne Sprache gibt den Blick frei für die Aktualität des Textes. Denn, so Schmitz-Scholemann in seinem umfangreichen, informativen und unterhaltsam geschriebenen Nachwort: Die Menschen, von denen Horaz spricht, trügen zwar …

 

„(…) keine Schlipse und keine Sneakers, sondern Toga und Sandalen. Trotzdem kommen sie uns vertraut vor: Händler und Rechtsanwälte, Friseure und Lehrer, Kurärzte und Hausverwalter, schwadronierende Tagediebe und beschwipste Dichter, allesamt getrieben von Projekten und Geschäften, manchmal beseligt durch geheime Hoffnungen, oft gequält von Geiz und Neid und kleiner Angst und stiller Gier, dann wieder beflügelt von den schönsten Sehnsüchten – es ist, als würden wir diese Menschen kennen. Und wir kennen sie ja auch. (…) Wir sind selbst diese wunderlich verstrickten Narren, Horaz zählte sich auch zu ihnen.“

 

Horaz war Zeitgenosse Caesars und Kleopatras, Ciceros und Kaiser Augustus und befreundet mit dem berühmten Dichterkollegen Vergil. Schon vor dem Briefkonvolut ermöglicht eine übersichtliche Zeittafel mit den Lebensdaten eine Einordnung in seine Zeit. Christoph Schmitz-Scholemann bringt uns den Text mit seiner unaufgeregten und stilvollen Neuübersetzung in diskret rhythmisierter moderner Prosa nahe. Im Nachwort gibt er außerdem ausführlich Auskunft über Zeit, Leben und Werk des im Jahre 65 v. Chr. geborenen und 8 v. Chr. gestorbenen Dichters. So wirken die Briefe auf den heutigen Leser, als wären sie vor ein paar Tagen abgeschickt worden und nicht vor über zweitausend Jahren.
Wie Horaz sei uns die Gewissheit, wie man leben soll, erst recht, wie man „richtig“ leben solle, abhandengekommen, schreibt Uwe Tellkamp in seinem Vorwort. „Die Briefe des Horaz“ könnten uns helfen, einen Weg dahin zu finden.

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