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Doris Knecht: Gruber geht.

Berlin: Rowohlt Verlag, 2011. 240 S.; geb.;

Rezension vom 11.03.2010 im literaturhaus.at
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Die Liebe in den Zeiten des Facebook

Wie uncool ist das denn, bitte? Im Nachhinein zu vermissen, was man vorher nie hatte haben wollen. Ein eigenes Kind zum Beispiel. Für DJ Sarah geht das gar nicht. Völlig ausgeschlossen. Und dann der unmögliche Typ Mann dazu. Klassischer Investment-Banker: Porsche-Fahrer mit Ray-Ban-Piloten-Brille und Designer-Bude mitten in Wien. Für die siebenunddreißigjährige Berlinerin, die nachts in Clubs Platten auflegt, ein absolutes "No go." Und trotzdem. Ihr erstes Date in Zürich war ein Schicksalstag – in mehrerer Hinsicht. Schließlich war sie gleich nach dem Sex zu seinem persönlichen Todesengel geworden. Hatte neben dem Bett den seit Tagen ungeöffneten Brief vom Krankenhaus gefunden. Und er hatte gewollt, dass sie ihn vorliest: Ein Tumor im Bauch. Bösartig. So viel stand schon fest. Unklar war allerdings, ob er daran sterben würde. Und das mit ihrer Schwangerschaft und der anschließenden Fehlgeburt stand da auch noch in den Sternen. Klar. Aber irgendetwas Unwiderrufliches war damals schon geschehen. Mehr als ungewöhnlich guter Sex. Da ist sie sich ganz sicher. Irgendsoein seltsames Vorherbestimmungs-Ding eben.

Dass Gruber davon nichts wissen wollte, war eh klar. Genauso wenig wie von dem Kind. Noch nicht. Immerhin: Die Chemo hatte ihn dann doch ganz schön aus seiner kometenhaft überirdischen Erfolgs-Umlaufbahn geschmissen. Angefangen hatte es mit einer schlichten Rindssuppe. Die hatte er in seiner bis jetzt absolut unbenutzten Edelstahl-Küche für Sarah kochen wollen. Und dann das mit dem Bierfleck auf seinem Designer-Sofa. Er selbst hatte in aller Seelenruhe sein Bier draufgekippt. Unglaublich, dass es so leicht war, sich gehenzulassen ... Dann die Sache mit dem schwulen Henry. Also, mal ehrlich: Diese gemeinsame Nacht wäre in seinem früheren Leben absolut unvorstellbar gewesen. Und war es tatsächlich der immer gepflegte Workaholic Gruber gewesen, der dann, unrasiert und in Flip-Flops, stundenlang untätig in der Hängematte in Kathis und Toms verwildertem Garten geschaukelt hatte? War es wirklich Gruber, der als passionierter Kinderhasser auf die Kleinen seiner Schwester Kathi aufpasste? Und das auch noch gerne, wie er mit eingeschlafenem Arm unterm Kopf des in sein Bett gekrochenen Jüngsten erstaunt feststellt. Als es ihm dann so richtig schlecht gegangen war nach der zweiten Chemo gegen seinen Tumor im Bauch, der partout nicht kleiner werden wollte, hatte er sich sogar von seiner Mutter Suppe kochen lassen. Hühnersuppe. Gruber, das Familien-Torpedo, hatte es einfach geschehen lassen. Und es hatte ihm sogar gut getan.

Bei all dem war Sarah ihm und Gruber ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Über knappe Messages per Handy und Facebook hatten sie locker Kontakt gehalten. Aber ein gemeinsames Kind? Unvorstellbar. Mitten in der Chemo fliegt er nach Berlin, um ihr die absurde Idee zwischen zwei Sushi auszureden. Dabei weiß er längst, dass Ihre Entscheidung schon gefallen ist. Lange vor ihrer SMS "lieber john, es ist so: ich kriege ein kind. also wir. also, je nachdem." Und dann hatte Gruber gegen seinen Tumor gewonnen und Sarah ihr Kind verloren. Und erst dann hatten beide gemerkt, wie sehr sie es sich gewünscht hatten: ihr Kind und ein gemeinsames Leben zu dritt. Wie kitschig und spießig ist das denn, bitte? hätten beide in ihrem vorigen Leben dazu gesagt. Aber so ist das eben manchmal: dass man im Nachhinein erst vermisst, was man vorher nie hatte haben wollen.

"Gruber geht" ist mehr als eine flott und amüsant geschriebene Liebesgeschichte der "Generation Facebook" mit melancholischem Happy-End. Denn Sätze wie "Gruber hat Krebs" haben in der Social-Media-Welt nichts verloren. Wie krass ist das denn, bitte? meint man die Kommentare der empörten Community zu hören. Aber bevor es dazu kommt, nimmt Gruber den Eintrag wieder aus dem Netz. Trotzdem, und genau das zeigt Doris Knecht in ihrem mutigen Roman, lässt sich auch im Facebook-Jargon über den Tod schreiben. Er behält schließlich immer das letzte Wort. Sogar im Social Web. Genau dieser Kontrast zwischen lockeren Community-Sprüchen und den geschilderten existenziellen Grenzerfahrungen macht Doris Knechts Debüt spannend. Zwar verlaufen sich die von ihren spitzen Kolumnen bekannten sprachlichen Pointen und ihr szenischer Humor leicht in der Länge des Romans; außerdem droht die Gruber-Figur gerade in der ersten Hälfte des Buchs oft im eigenen Klischee zu versinken. Aber Doris Knechts kühner Versuch, gleich in ihrem ersten Roman im Facebook-Jargon aus der wechselnden Perspektive verschiedener Figuren über das Schwerste überhaupt zu schreiben, verlangt Respekt.

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