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Im Dienste seiner Majestät

Javier Marías: Dein Gesicht morgen. Fieber und Lanze. Klett-Cotta 2004
Sendung vom 04.09.2004 im Deutschlandfunk
http://www.deutschlandfunk.de/im-dienste-seiner-majestaet.700.de.html?dram:article_id=81974

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Jaime Deza weiß mehr über die Menschen, denen er zuhört, als sie über sich selbst je erfahren werden. Seine Fähigkeit, das in der Persönlichkeit angelegte Potenzial vorauszusehen, ist für ihn Gabe und Fluch zugleich, "Fieber und Lanze" in einem. Jaime, Jacques oder Jacobo kann und muss zuhören, aufmerksam sein, interpretieren und erzählen. Das genau ist auch sein Schmerz, denn er weiß, so Marias, "dass das bloße Geschehen uns kaum betrifft (...), wohl aber seine Erzählung (...), die zwangsläufig ungenau, verräterisch, annähernd und (...) doch (...) das Entscheidende, das was uns seelisch verstört". Genau deshalb sei Erzählen unvermeidlich mit Verantwortung und zwangsläufig mit Schuld verbunden. Das hohe, unmögliche Ziel der Welt ist daher Schweigen.


Scheinbar durch Zufall wird aus Jacobos Berufung ein äußerst ungewöhnlicher Beruf. Deza, der vor vielen Jahren in Oxford unterrichtet hat, kehrt von seiner Heimatstadt Madrid nach London zurück, um dort für Radio BBC zu arbeiten und Abstand von seiner zerrütteten Ehe mit Luisa zu gewinnen. Der befreundete emeritierte Hispanist Sir Peter Wheeler lädt ihn zu einer Feier in sein Haus in Oxford ein, wo er ihn einem Mann mit dem sonderbaren Namen Tupra vorstellt. Herr Tupra bietet Jacobo eine Beschäftigung an. Als Mitarbeiter einer Gruppe des britischen Geheimdienstes MI6 nimmt er an zahllosen Verhören und Gesprächen teil. Seine Aufgabe ist es einzuschätzen, wie ein Mensch sich zukünftig verhalten wird, ob loyal oder als Verräter. Deza tut dort, was er immer getan hat: Er nimmt wahr, hört zu, deutet und erzählt.

 

Im Haus am Cherwell-Fluß erfährt Jaime, dass der befreundete Professor früher auch der Gruppe angehörte und der greise Wheeler schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg und während des Spanischen Bürgerkriegs in den Diensten der Spionageabwehr stand. Sein "beobachtender, analytischer, vorausschauender, deutender Geist, der ständig urteilt", hat in Deza einen Gleichgesinnten erkannt und ihm den Posten bei Tupra vermittelt.

 

Der jetzt transparente historische Zusammenhang ruft bei Jacques seine mit dem Bürgerkrieg eng verknüpfte persönliche Familiengeschichte in Erinnerung. Wie viele andere in dieser Zeit wurde der Onkel damals Opfer der täglichen willkürlichen Tötungen in Madrid. Auch Dezas kommunistisch engagierter Vater war betroffen: Er wurde vom besten Freund und politisch Gleichgesinnten an die Franquisten ausgeliefert und entging nur durch einen glücklichen Zufall der sicheren Haftstrafe. Jacobo konnte nie verstehen, warum der Vater nicht seine Gabe besaß, schon heute des Freundes "Gesicht morgen" und damit seinen Verrat vorauszusehen. Der Vater hatte sich dagegen, obwohl er früh den "Fluch des Sprechens" und das Verräterische der Erzählung selbst erfahren musste, bis ins Alter seine Naivität bewahrt.

 

All das geht Jacobo durch den Kopf, während er mit Wheeler lange Unterhaltungen führt, in seiner Bibliothek nächtliche Recherchen treibt oder er sich alleine im Londoner Großstadtappartement aufhält. Dort beobachtet er gleichzeitig aus seinem Fenster Passanten, den Verkehr und einen gegenüber wohnenden Freizeittänzer mit wechselnden Frauen. Und er wartet auf Luisas Anruf und das ersehnte Telefonat mit seinen Kindern. Bis eines Abends eine unbekannte Frau an seiner Wohnungstür klingelt ... So endet der erste Teil der Romanzyklus "Dein Gesicht morgen" mit dem Beginn der nächsten Geschichte, einer, so Marías, neuen "Erzählung (...), die (...) im Grunde nichtig ist und doch fast das einzige, das zählt".

 

Wie sein Protagonist Deza ist Autor Javier Marías professioneller Beobachter und Zuhörer sowie exzellenter Deuter von Menschen und Erzähler ihrer Geschichten. Marías vermittelt dem Leser in seiner charakteristischen, in Passagen auf Thomas-Bernhardsche Weise eindringlichen Sprache die Lust und den Schmerz des Erzählens. Und überzeugt damit, Menschen in den Mittelpunkt seiner Wahrnehmung und deren Darstellung ins Zentrum seiner Geschichten zu stellen.

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