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Zerstreuter Odysseus

Álvaro Mutis:Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll. Aus. D. Spanischen v. Katharina Posada, Peter Schwaar. Unionsverlag 2005. 831 Seiten.

Rheinischer Merkur, Nr. 29, 21.07.2005, Seite 21



ROMAN Sämtliche Abenteuer des Käpt'n Maqroll gibt es nun in einem Band

Alvaro Mutis schuf mit dem skurrilen Seebären einen Virtuosen des Misslingens, der noch aus jedem Seelenlabyrinth herausgefunden


Romane wollte er eigentlich nie schreiben. Der Lyriker Álvaro Mutis aus Kolumbien. 1923 in Bogotá als Sohn eines Diplomaten geboren, verbrachte er seine Kindheit in Belgien und zog nach dem Tod des Vaters 1932 mit seiner Mutter zurück nach Bogotá. Neben seiner Arbeit für Rundfunk und Public Relations schrieb er. 1948 erscheint sein erster Lyrikband. 1956 ging er nach Mexiko, wo er später für Filmproduzenten arbeitete. Seither lebt er, wie sein Freund Gabriel García Márquez, in der mexikanischen Hauptstadt.

Dort erscheint auch 1986 mit „Der Schnee des Admirals“ der erste Roman des damals bereits 63jährigen Autors. Held der Abenteuer-Geschichte ist Gaviero Maqroll, den der Autor bereits als 15jähriger erfand. Dem ersten Teil der Maqroll-Saga folgten sechs weitere Romane, der jüngste 1993. Die sieben Romane sind jetzt im Unionsverlag in einem einzigen Band unter dem Titel „Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll“ erschienen: davon in überarbeiteter Übersetzung „Der Schnee des Admirals“, „Ilona kommt mit dem Regen“, „Ein schönes Sterben“, „Die letzte Fahrt des Tramp Steamer“, „Das Gold von Amirbar“ sowie – als deutsche Erstausgaben – „Abdul Bashur und die Schiffe seiner Träume“ und „Triptychon von Wasser und Land“.

Der Ausgefallenheit der Romantitel entspricht die Abenteuerlichkeit des Helden. Maqroll, ein Name, der keiner Sprache zugeordnet werden kann. Er hat kein Herkommen, ist ständig unterwegs und überall und nirgends zu Hause. Wie ein „Gaviero“, sein Spitzname und nautischer Ausdruck für den, der im Mastkorb Ausschau hält, wird er von einer rastlosen Suche über die Meere und Flüsse dieser Erde getrieben. Er durchquert den dichtesten Urwald, das Hochland der Anden und landet in den Abgründen der Hafenstädte. „Der Ärmste nimmt alles auf sich, was ich gern gewesen wäre, was ich hätte sein müssen und wozu ich nicht fähig war“, sagt Álvaro Mutis selbst über sein Alter Ego Maqroll.

Alle Unternehmungen des belesenen philosophierenden Helden sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Obwohl auch Maqroll das jedesmal voraussieht, treibt ihn seine unstillbare Sehnsucht in immer neue Abenteuer. Die suggestive Beschreibung der Natur spiegelt dabei Handlung und Gemütszustand Gavieros. Jede Reise führt letztlich ins eigene Seelenlabyrinth. Die Prosa Mutiz erzeugt dabei eine atmosphärische Dichte, die auf beklemmende Weise an unser Unterbewusstsein rührt. Das spürt auch der Autor, wenn er während des Schreibprozesses feststellt: „Maqroll und Mutis wurden sich ähnlicher, als mir lieb war.“ In Gavieros Reisen und Niederlagen werden existenzielle Ängste und Sehnsüchte lebendig. Genauso wie in Mutis skurillen Figuren, die ihre Würde auch im Scheitern bewahren: der wild geheimnisvollen Freundin Maqrolls, Flor Estévez, dem unsinnige Befehle schreienden alkoholisierten Kapitän, der sich während der Fahrt erhängt, dem einsilbigen indianischen Maschinisten oder dem blonden Hünen aus Estland, ein Schieber, der später vom Militär liquidiert wird. Ihre gemeinsame Quelle: das unstillbare Verlangen, sich gegenüber der Unausweichlichkeit und Unerklärbarkeit des Todes zu behaupten.

Die Art und Weise, wie diese mit Abenteuer- und Märchen-Motiven spielenden Geschichten an menschliche Ur-Erfahrungen rühren, lässt an die Prosa Kafkas denken. Wie im „Schloss“ stößt Maqroll beispielsweise in „Der Schnee des Admirals“ nach langer, beschwerlicher und gefahrvoller Reise auf einem rostigen Kahn über den Fluss Xurandó zum Sägewerk, wo er Holz kaufen möchte, auf verschlossene Türen. Der Pförtner weist ihn ab. In der irreal modernen Glas-Stahl-Fabrik wird überhaupt nichts produziert. Auch in „Ein schönes Sterben“, in dem er einige Kisten mit Baumaterial in die Berge schaffen soll, wo eine Eisenbahnlinie gebaut wird, findet er an der vereinbarten Stelle keine Anzeichen irgendeiner Tätigkeit. „Jeder Roman ist das Ergebnis einer Notwendigkeit, des Drucks, den die Romanfiguren auf mich ausüben. Sie selber sind es, die ihr Schicksal gestalten,“ versucht Mutis das Entstehen der soghaften Zwangsläufigkeit der Geschichten zu erklären. Man kann sich tatsächlich schwer der Faszination der Abenteuer und der Landschaften, in denen die Maqroll-Romane spielen, entziehen. Wenn auch das Episodische und Unchronologische den Geschichten manchmal eine zu starke Flüchtigkeit verleiht. Gabriel García Márquez über die Romane seines Freundes: „Álvaro Mutis‘ gesamtes Werk ist das eines Hellsehers, der genau weiß, dass wir das verlorene Paradies nicht wiederfinden werden. (...) Maqroll – das sind wir alle, und deshalb kann er nicht sterben.“



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