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Heiße Stürme über Kuba

Leonardo Padura: Handel der Gefühle. Unionsverlag, Zürich 2004.  288 Seiten.
Rheinischer Merkur, Nr. 48,  25.11.2004, Seite 24

VERBRECHEN Endlich auf Deutsch: Leonardo Paduras zweiter Band seines Detektiv-Epos „Havanna-Quartett“


Einzig Krimis unterliegen im Castro-Paradies nicht der Zensur. Deshalb ist das Genre ein beliebtes Mittel, die raue Wirklichkeit unverfälscht darzustellen.


Der gebürtige Kubaner Leonardo Padura ist in seiner Heimat als Journalist, der auch politisch unbequeme Themen aufgreift, bekannt. Seine Reportagen gehören zu den meistgelesenen. Als Autor hat er sich mit seinem Kriminalromanzyklus „Havanna-Quartett“ weit über die Insel hinaus einen Namen gemacht. Der zweite, 1994 erstmals publizierte Band ist jetzt auf Deutsch erschienen. „Handel der Gefühle“ ist nach „Ein perfektes Leben“ der „Frühling“ der nach Jahreszeiten geordneten vier Romane, die alle im kubanischen Wendejahr 1989 spielen. Padura wählt ganz bewusst das Format des Krimis, um an der Zensur vorbei seine Sicht über das Ende der Illusionen der kubanischen Revolutionsgesellschaft zu erzählen.

 

Oberstleutnant Mario El Conde ermittelt in einem Mordfall, bei dem illegale Devisengeschäfte und Drogenhandel im Spiel sind und der seine Kreise bis in höchste Gesellschaftsschichten zieht. Opfer ist eine junge, nur scheinbar vorbildliche Genossin: die Chemielehrerin Lissette Delgado. Die kriminalistischen Untersuchungen sind jedoch eher Nebensache. Im Zentrum der Erzählung steht die fiebrige Atmosphäre des politischen Umbruchs, der sich bis in die kleinsten Alltagsdinge hinein auswirkt. Durchgängiges Symbol dieses nahezu unerträglichen geistigen Klimas ist der apokalyptische Frühlingssturm, unter dessen Staub und Hitze das Atmen für alle zur Qual und die Ermittlungen für den Teniente zur Hölle werden.

 

Jenseits der Idylle

 

Der eigenwillige und sensible Mario El Conde, den die Untersuchungen quer durch alle Gesellschaftsschichten führen, nimmt dabei die Rolle des perfekten Beobachters ein. Er beschreibt die Auswirkungen der beginnenden ökonomischen und ideologischen Krise nicht polizeilich nüchtern, sondern höchst emotional. Denn der melancholische Polizist und sentimentale Erinnerungsfetischist, der lieber Schriftsteller geworden wäre, zeichnet sich durch eine ausgeprägte Neigung zur Poesie und zum Philosophieren aus. Teniente Condes Sprachstil ist dabei so kontrastreich wie sein Charakter. Mit seinen umgangssprachlich pointierten Dialogen und hochreflexiven inneren Monologen nimmt er die Tradition seines Großvaters Rufino auf, der ihm als lakonischer Dichter des Hahnenkampfes das Gespür für die überzeitlichen Dimensionen des Alltags vererbt hat.

 

Durch die präzisen und mit kräftigen Bildern untermalten Situationsanalysen El Condes entsteht ein facettenreiches Bild des sich verändernden Kubas jenseits der karibischen Idylle, zu der die heiter-melancholischen Rhythmen des Buena Vista Social Club in der westlichen Rezeption geronnen sind. Die abblätternden Fassaden Havannas und deren verfallender Charme, die kubanischen Requisiten der Hahnenkampfplätze, zigarrenrauchgeschwängerten Cafés, Rum und Zuckerrohrpressen bilden nur die vordergründig idyllische Kulisse für eine tatsächlich immer stärker auseinander driftende Gesellschaft. Die Kluft zwischen den Reichen, die wie die Mutter der Ermordeten im Viertel Casino Deportivo im westlichen Überfluss leben, und den armen Bewohnern im Santo Suarez, die, wie Condes Freund Candito, der Rote, von der Produktion handgefertigter Sandalen leben, wird immer größer. Alles, was über das Lebensnotwendigste hinausgeht, fehlt. Der landestypische Rum wird rar, mit dem Conde und sein an den Rollstuhl gefesselter Freund Carlos regelmäßig ihren Weltschmerz ertränken. Die Zutaten für Mutter Josefinas madrilenischen Eintopf sind nur noch auf dem Schwarzmarkt zu besorgen. Sogar Kubas Luxus-Zigarren für Condes gutmütigen Vorgesetzten Mayor Antonio Rangel sind nicht mehr aufzutreiben. Und das Begräbnis von Marios Kollegen Capitán Jorrín findet fast ohne Blumen statt.

 

Melancholische Lebenslust

 

Aber die Kubaner und Mario El Conde lassen sich durch die scheinbar aussichtslose Situation nicht unterkriegen. Ein ausgewachsener Kater lässt sich mit einigen Duralginas bekämpfen, und keine Depression hält zwei Flaschen Rum und leidenschaftlichem Sex mit einer schönen Frau stand. So ändert die erotisch durchschlagende Affäre mit der Saxofon spielenden Karina schlagartig El Condes Sicht auf das Leben. Aber mit der Rassefrau, die seine Vorliebe für „Rum, den Zigarettenqualm, den Jazz und das Leben“ teilt, geht ihm auch der Optimismus schnell wieder verloren. Doch der hintergründige Humor, die melancholische Lebenslust und der abschließende Traum vom geglückten Leben mit einer schönen Frau im Holzhaus am Meer zeigen, dass es trotzdem irgendwie weitergeht. Auch wenn wir, wie schon Großvater Rufino wusste, letztendlich „alle dasselbe Schicksal haben wie die Kampfhähne“.

 

Schon jetzt kann man sich auf die Fortsetzung des gelungenen Kriminalromanzyklus mit dem unverwechselbar kubanischen Teniente El Conde freuen: Teil drei des „Havanna-Quartetts“, „Labyrinth der Maske“, soll bald erscheinen, der vierte Band „Das Meer der Illusionen“ ist für Frühjahr 2005 geplant.

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