Morgen mehr - Der Autor liest
Autoren-Lesung von Tilman Rammstedt, Seite 88/89
Lesungsausschnitte und Interview-Passagen mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Carl Hanser Verlags. Tilman Rammstedt, Morgen mehr, © Carl Hanser Verlag München 2016
[Ausschnitt aus den Seiten 88/89]
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL
in dem alle zunächst mit dem Schrecken davonkommen und dann am Ende noch einmal
(...)
Wenn ich das mit der Liebe bislang richtig verstanden habe, lässt sie einen hauptsächlich jammern. Sie lässt einen kalte Dosenravioli essen und mit ungepflegten Bärten noch ungepflegtere Gedichte schreiben. Sie lässt einen Konservenbüchsen an Autos binden und Nasen brechen und beharrlich ganze Nächte zergrübeln, und wenn man sie gerade nicht hat, die Liebe, dann wünscht man sie sich offenbar ständig herbei und denkt sich, wie Dimitri, wunderschöne Freundinnen aus, (…) Vielleicht ist das Jammern einfach nicht zu verhindern, und man muss sich nur ständig deshalb verlieben, damit man nicht so ins Leere jammert. (...) Und wenn ich das mit der Liebe richtig verstehe, dann ist sie auch nicht besonders gut darin, einen stilvollen Abgang hinzulegen, und der eine schreibt dann halt Gedichte oder die andere will diese Gedichte auf keinen Fall hören, der eine ruft stündlich an und die andere legt am besten den Hörer neben die Gabel, der eine lächelt dümmlich, wie mein Vater zum Beispiel, als er nun gemeinsam mit Claudia außer Sichtweite der Autobahn war, und die andere fängt laut an zu schimpfen, wie Claudia zum Beispiel, als mein Vater sich endlich seine Pudelmütze vom Gesicht zog. »Das ist jetzt nicht dein Ernst!«, schrie sie,
(...)
Tilman Rammstedt, Morgen mehr, © Carl Hanser Verlag München 2016