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Investmentbanker im Sinkflug

Alexander Schimmelbusch: Im Sinkflug. Luftschacht 2005. 178 Seiten.

Rezension vom 02.05.2006 im Titel-Magazin

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In seinem überzeugenden Debutroman führt Alexander Schimmelbusch in die trostlose Luxuswelt der Investmentbanker und seziert gnadenlos deren Lebenslügen.


Wie ist es wohl, von Beginn an bereits dort zu sein, wo alle anderen ihr Leben lang hinwollen? Da, wo Drehtürlakaien mit weißen Handschuhen den Weg zur kühlen Eleganz aus Marmor, Messing und Mahagoni weisen. Da, wo man abends an der Bar des FOUR SEASONS in gedämpftem Licht, bei Klavierspiel und Eiswürfelklimpern Austern schlürft und seinen eisgekühlten Martini trinkt. Da, wo man, aufgewachsen zwischen einem New Yorker Loft, Großvaters Wipfelschloss im Taunus und der elterlichen Villa in den Hamptons, früh sein eigenes Penthouse mit Blick auf den Central Park bezieht?


Künstlich, öde und einsam sei das Leben zwischen Erfolgsdeutschen, Beautyfarmschönheiten und Neobohemiens, so der Ich-Erzähler von Alexander Schimmelbuschs Roman „Im Sinkflug“. Der in New York aufgewachsene deutsche Autor kennt das Milieu. Er studierte in Washington, DC Volkswirtschaftslehre und war fünf Jahre als Berater bei Fusionen und Übernahmen für eine Investmentbank in London tätig. Als Insider schreibt er über eine Welt aus Schein und Selbstbetrug, in der die Wirklichkeit von Anfang an unwiederbringlich verloren ist. Was am Ende übrig bleibt, so der Erzähler, sei „nur ein belangloser verschwommener Spielfilm, den man schaut, bis man sich in die Kiste legt.“ Eine hoffnungslose Perspektive, mit der er sich schon als Junge konfrontiert sieht. Die bittere Erkenntnis des früh Gealterten ist der Auslöser eines erbarmungslosen Urteils über sich selbst und sein snobistisches Umfeld. Mit dem unbestechlichen, naturwissenschaftlichen Blick eines Artenforschers teilt er die Typen seiner Lebenswelt in verschiedene Spezies ein. Der unablässig Überbeschäftigung simulierende Vorstandsvorsitzende, der sein Selbstverständnis allein aus der Schikanierung der Familie und seiner Angestellten bezieht. Angestellten, wie dem vor ihm buckelnden typischen Erfolgsdeutschen, der alles in Business-Kategorien einteilt und daher beruflichen Erfolg mit erfülltem Leben verwechselt. Sein Motto: „Nicht in sich hineinhorchen! Augen zu und durch! und Fertig …“ Ein Leben, zu dem wie selbstverständlich die eigentlich nicht wirklich schöne Standardblondine gehört, die er allabendlich mit einer der hübschen Kellnerinnen betrügt.

Leben findet woanders statt


In selbstironischer Übertreibung ergießt sich der Hass des Ich-Erzählers in ausufernden inneren Monologen über seitenlange zynische Tiraden. Apodiktische Schmähungen, die überdeutlich an Thomas Bernhard erinnern. Aber die vertrauten Formulierungen des österreichischen Schmähliteraten bekommen ihre ganz eigenständige Note durch das ungewohnte Milieu. Eine Lebenswelt, in der sich der jahrelang selbst als Unternehmensberater tätige Schimmelbusch bestens auskennt. Das Ziel seiner Attacken, so der Autor, sind die dort kultivierten „scheinbar in sich geschlossenen Lebensansätze, die intelligente Menschen entwickeln, um sich von ihrer Vergänglichkeit abzulenken“.


Leben, das ist auch dem Ich-Erzähler klar, findet (wo)anderswo statt. Nur wo? Sein einzig klarer Impuls: die Flucht. Weg von der Welt, aus der er sich schon längst herausgedacht hat. Er flieht aus der Stadt. In einem ruhelosen Road-Movie steuert er „im Sinkflug“ seinen Mercedes übers Land, ohne sich letztlich jedoch selbst zu entkommen. Auch andere Lebenswelten und –entwürfe bieten keine echte Alternative. Überall stößt er auf Selbstbetrug: ob in der Imbissstube des deutschen Auswandererpaars, der Wohnidylle der vereinsamten Germanistikprofessorin, dem Motel- und Hurenparadies des amerikanischen Handelsreisenden oder im Appartement seines ehemaligen Studienfreundes Justin, der die existenzielle Orientierungslosigkeit mit Alkohol und käuflicher Liebe zu betäuben sucht. Erst bei der erotischen Begegnung mit der schönen Kellnerin der „Hummerbar“ am Meer trifft er auf sich selbst und „weiß, ich kann jetzt loslassen: alles wird irgendwie zu schaffen sein. (…) Schließ die Augen, sage ich mir, und verschwinde.“ In einem quasi religiösen Moment endgültiger Erlösung versinkt er in der Stille des Ozeans.


Ein versöhnlicher Schluss, der so gar nicht zu den sprachlichen Wutausbrüchen passen will. Genauso wenig wie die poetischen Naturschilderungen von Wüsten- und Gebirgslandschaften, oder die beinahe rührenden Passagen, in denen sich der Erzähler an verlorene Kindheitsmomente erinnert. Augenblicke, in denen er mit sich selbst noch übereinstimmte. Genau diese Ambivalenz ist es, die den Roman Schimmelbuschs so interessant macht. Denn damit geht er über eine, nur epigonale Kopie von Thomas Bernhard hinaus und entwickelt seinen ganz eigenen literarischen Stil. Ebenso ungewöhnlich und neu wie das authentisch geschilderte Business-Milieu, das bis jetzt selten von einem Insider literarisch in dieser Form beschrieben wurde. Ein interessanter Debütroman von einem nicht alltäglichen Autor, dem man wie der Ich-Erzähler wünscht, dass er sich „endgültig an meinen Blätterstapel niedersetzen würde, um einen endlosen absatzlosen Text niederzuschreiben, der durch nichts begrenzt werden könnte, außer durch meinen beim Schreiben irgendwann einsetzenden Tod.“

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