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"Lyrik schreiben ist wie ein Spaziergang im Prater"

Robert Schindel: Scharlachnatter. Gedichte. Suhrkamp Verlag 2015. 100 Seiten.
Interview mit Robert Schindel zum neuen Gedichtband "Scharlachnatter" Interview hören 

Abdruck und Lesung der Gedichte mit freundlicher Genehmigung des Autors Robert Schindel und des Suhrkamp-Verlages. Veröffentlichung des kompletten Interviews mit freundlicher Genehmigung des Autors Robert Schindel. 

 

Gedicht-Lesung von Autor Robert Schindel:

Scharlachnatter

 

Grauenhafter Mensch vorauslaufend
In künftige Zeiten siehst du zurück
Auf uns Wilde uns Blöde
Schauerlich dieser Eifer rettest uns

 

Vor uns die wir dich hinschreiten
Sehen zu den Diamantenbergen türkisenen
Tälern in denen Häuser sich türmen
Mit Prachtaussichten und Leute

 

Mit Eisenherzen hinter den Fenstern
Erwarten dich der du uns
In der Vorsteherdrüse verdammt hast wir
Mit der Scharlachnatter im Maul wollen

 

Dir den Kopf abhauen und die
Natter dir zwischen die Lippen stecken
Um hernach deine Botschaften
Nachzureden Jochanaan

 

Michaela Schmitz:
Scharlachnatter heißt der Band und heißt das Titelgedicht. Ich hab mich schwergetan, es einzuordnen in den Band, weil es so anders und so besonders ist.

Robert Schindel:
Ja, weil es eben so ein Findling ist. Oder etwas gar nicht mit anderen Texten so besonders Verbundenes. Es ist gleichsam eine lyrische Variation auf die Salomé-Herodes-Problematik - und natürlich auch indirekt auf Johannes den Täufer, der da unten ist im Verlies - und ist sozusagen eine religiös-kulturkritische Ansage von Zuständen, in denen ich mich befinde.

 

Michaela Schmitz:
"Zwischen Stundenglas und Nu-Mühle" hätte der Band auch gut heißen können, weil es die Themen-Schwerpunkte, die ich wahrnehme, nämlich "Alltag eines älter werdenden Dichters" und "Sprach- und poetologische Reflexionen", zusammenfasst. Waren das tatsächlich die Themen, die Sie während der Arbeit an den Gedichten besonders beschäftigt haben?

Robert Schindel:
Nolens volens, ich weiß nicht, ob das sozusagen ein Naturgesetz ist, aber ich beobachte auch bei anderen Autoren und Autorinnen, dass irgendwann die Frage des Alterns annexionistische Bestrebungen entwickelt und einen halt irgendwie beschäftigt, auch wenn man sich darüber ärgert und das ja eigentlich gar nicht wirklich thematisieren will. Aber von der existenziellen Seite her ist dieses Einsinken in den Existenzsumpf, dieses langsame, sukzessive Einsinken halt doch sehr aufdringlich. Und muss daher, weil es auch ein bisschen mit Angst verbunden ist, in Worte gebannt werden; wie ich ja alle Ängste versuche, in Worte zu bannen.
Das hat vielleicht auch mit dem Altern zu tun, dass bestimmte, früher mich sehr grell beschäftigende Themen verblassen oder ein bisschen einen Kürzel- oder einen Paraphen-Charakter bekommen, und andere Themen existenzieller Art - wie eben das Altern und auch der Kampf gegen die Resignation und die Fragen der Ethiken, die Fragen der Würde - mehr in den Vordergrund treten. Aber das ist ja nicht geplant. Die Lyrik entlässt ja aus sich zumeist das Aktuelle, ohne dass der Lyriker es merkt.

 

Michaela Schmitz:
Ich hab mich schwer getan, die Zyklen auf einen thematischen oder formalen Nenner zu bringen. Mir kam es eher so vor, als wären es Überblendungen, Vernetzungen, Verästelungen.

Robert Schindel:
Eigentlich sind's keine Zyklen mehr. Es ist eigentlich, also eigentlich ist es gefühlsmäßig - von einigen Texten jetzt abgesehen - wie ein Gedicht, das sozusagen in verschiedene Girlanden und verschiedene Korridore einbiegt und dann auf bestimmten Sammelplätzen wieder herauskommt und dann in weitere andere Korridore hineingeht, oder wie eine große, lange Wortschlange, Gedankenschlange. Ich hab sozusagen den Eindruck, dass es nicht, wie frühere, sich so thematisch zuordnen lässt. Sondern, dass es eine Gesamtstimmung, eben diese Stimmung der Vergeblichkeit, des Alterns, der Resignation, aber auch der guten Aussichten in Bezug auf persönliche Behaglichkeit und Ähnliches zum Ausdruck bringt.

 

Gedicht-Lesung von Autor Robert Schindel:

Bedeutung

 

Im Kreuzgang schleifen die Wörter vor mir her
Im Trappelschritt folge ich ihnen schlucke den Dunst
Den sie von den Silben her hinterlassen der Abrieb
Bringt meine Nase zum Deuten
Hinter mir segeln schwarze Noten
Reste der einstigen Musik sie fahren mir
Vom Rücken zum Gürtel von dort in die Stutzen
Das hampelt das strampelt aber Trompeten
Wenn nicht gar Fanfaren und der Posaunenverein
Saugen ein was zur Musik sich bilden wollte
Die Stille kann im Geruckel den
Rhythmus bloß choreographieren

 

Endlich ein Stillgestanden der Wörter ich bumse ihnen
Hinten drauf stoße sie vor zur großen Tal- und Atemsperre
Sie stürzen hinab und im Zusammenzug entweicht
Stimmliches welches in allen Ohren einschmuddert
Fell und Knöchelchen durchfährt und die Rede
Kommt an bei mir lässt mein Getrappel innehalten
Ich stehe bevor ich noch stehe im Tale vor mir
Wortstrauch auf Wortstrauch im Schatten zwar aber dürstend

 
Michaela Schmitz:
Ich hab irgendwo gelesen, dass jemand über Ihre Lyrik geschrieben hat, sie sei "gargantuesk". Im Kontrast dazu ja immer noch der Reim und das Sonett, also die hohe Form. Was reizt sie an dem Kontrast?

Robert Schindel:
Gerade wegen der wild gewordenen und drohend wild gewordenen Wörter, gerade wegen ihrer Eigendynamik und ihrer Maßlosigkeit bedarf es gelegentlich Gefängnismaßnahmen, Freiheitsberaubungen, Einschränkungen. Damit sich die ganze Wut und die Kraft, - ich empfinde das ja, das ist jetzt kein Eigenlob im Sinne, dass das meine Wörter sind, sondern die Wörter an sich, für mich und auch gegen mich diese Kraft, die sie haben -, damit sie sozusagen eine Zähmung erfahren, und diese Kraft nach innen in Form einer Intensität ausleben und nicht nach außen wegsplattern und quasi eine Maßlosigkeit bloß entwickeln. Und da ist die gebundene Form oder auch freie Rhythmen und der Reim und vor allem das Sonett - das ich ja gerne im Brechtschen Sinn oder auch im Shakespearschen Sinn als Argumentations- und nicht als Gefühlsgedicht gerne verwende - sehr gut geeignet. So wie ich ja überhaupt glaube, dass gerade auch in der zeitgenössischen Lyrik ein gewisses Maßhalten und eine gewisse Beschränkung in der Ausdrucksform die Extension zugunsten der Intensität verbessern würde.

 

Michaela Schmitz:
Welche Funktion hat das Schreiben von Lyrik gegenüber der Prosa für sie persönlich?

Robert Schindel:
Lyrik schreiben ist wie ein Spaziergang im Prater und Roman schreiben ist eine Reise mit dem Schiff nach New York und zurück. Ich empfinde es so. Es ist beides gleich schwer, wenn es gelingen soll, aber es ist eine andere Bewegungsform. Das eine, der Roman ist ja eine große Reise mit unterschiedlichen Orten, Personen, Stimmungen, Meteorologien. Und das Gedicht ist ja in der Regel - auch, wenn es gelegentlich anders ist - in einer Stimmung, in einem Topos.

 

Michaela Schmitz:
"Seelenkröte, Geistmarder, Ichkröte" heißt es in dem Gedicht "Selbdritt". Ist der Sprecher, oder will er sich darstellen als Rollenspieler, als Schauspieler?

Robert Schindel:
Ich glaube eher als multiples Ich. Also, ich bin nicht derselbe sozusagen. Und das lyrische Ich oft mit sich oft nicht identisch. Es ist, wie man neudeutsch sagen würde, sehr gerne dezentriert.

 

Michaela Schmitz:
In dem Gedicht "Beim Besilben" tauchen die Zeilen auf "da meine Toten versintern", "Meine Toten verschwinden". Das ist ja ein sehr großes Wort angesichts der Biografie, die Sie haben.

Robert Schindel:
Ich hab's eigentlich empfunden als eine Klage darüber, dass diese Ungeheuerlichkeiten, die passiert sind mit zum Beispiel meiner Familie, diese Ungeheuerlichkeit in ihrer emotionalen Wucht die Kraft bei mir selber verliert. Und gleichsam - es entfremdet sich, ich kann's nicht mehr nachvollziehen. Es ist so, als wäre es anderen passiert, oder was immer Entfremdungsgefühle hervorrufen. Und von daher ... So ist es gemeint, der Versuch, es einzufangen und auch zu bannen, also beide Seiten, es einzufangen und zu berichten, wie es vielleicht Nachgeborenen geht. Und die Angst zu bannen, die in der Bedrohung des Vergangenen ja noch immer liegt. Dass im Zuge dieses Besilbens eben, das, was zu Besilben ist, ja noch mehr an Deutlichkeit und Gegenständlichkeit verliert und dass damit aber auch die ganze Botschaft, nämlich dieses "Nie wieder" oder "Es könnte wieder passieren" verbleicht und dadurch erneut Bedrohungen es leichter haben. Ja, mir fällt's dann auch auf, dass ich Shoah-Berichte lese und dabei ein Brot esse. Und ich lese es sozusagen ohne direkte Emotion. Dass mich das dann drei oder vier Wochen später im Traum wieder einholt, ist dann eine andere Frage.

 

Gedicht-Lesung von Autor Robert Schindel:

 

Und immerzu

 

In den Echotönen der heraufgezogenen Stille
Da seht ihr mich sitzen in buchstabengefütterter
Moorlandschaft die Arme wie Hummerzangen
Lotrecht vom Leib weg hin zum Sumpf
Dort sich die Blumentruppen verteilt hatten

 

Und im Ringelreihn aus dem Sumpf blitzen Worte
Nichts als solche indes ohne weiters
Wolkentiere schwarzgrau nach Osten abziehen
Aus dem Inneren
Kommen Troll und Schrat

 

 

 

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