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Evelyn Schlag: Sprache von einem anderen Holz.

Gedichte. Wien: Zsolnay Verlag 2008. 144 S.; geb.; Eur(A) 15,40;
Rezension vom 20.08.2008 im literaturhaus.at
www.literaturhaus.at/index.php

Gott ist eben auch nur ein Mann...

"Sprache von einem anderen Holz" verspricht Evelyn Schlags neuer Gedichtband. Ihre "Holzsprache" erinnert an die Vision einer Schatten-, Wasser-, Stein-, oder Blättersprache in Ingeborg Bachmanns Prosatext "Alles". Ingeborg Bachmann widmet Evelyn Schlag im neuen Gedichtband den Zyklus "Liegt Böhmen am Meer". Sie formuliert damit den Titel des berühmten letzten Bachmann-Gedichts zur Frage um. Signal für ihre zwischen Bewunderung und Abgrenzung schwankende Faszination. "Ingeborg: Es reicht", ruft sie ihrer Kollegin im gleichnamigen Gedicht flapsig entgegen. Als glorifizierte Lichtgestalt erscheint Bachmann dagegen im Zyklus "Zögernde Fernsicht". Aber weil "die Versuchung des Lichts alles an uns übertraf", mündet die Sprecherin schließlich "seitwärts von der Sonne in einen Weg". Sie lässt "Ihr Reden dem wir verfallen waren" neben sich und sucht auf Seitenpfaden nach der ihr gemäßen lyrischen "Sprache von einem anderen Holz".

Viele Gedichte im neuen Band lassen sich als lyrische Auseinandersetzung mit Ingeborg Bachmann lesen. Zentrales Thema hier wie dort ist Sprache und wie sie unser Denken, Fühlen und soziales Handeln prägt. Sprache unterscheidet in Natur und Kunst, Körper und Geist, Frau und Mann, Individuum und Gesellschaft. Sie ist Bedingung jeglicher Erkenntnis, aber auch Grund schmerzhafter Entfremdung. Dieser Ur-Konflikt wird von beiden Schriftstellerinnen exemplarisch in der Beziehung zwischen Mann und Frau erlebt und dargestellt.

Das gemeinsame Grundmotiv der Liebe ist mehr als das spezifische Merkmal weiblicher Weltsicht. Im Liebesverhältnis lässt sich nicht nur die grundlegende antagonistische Spannung der menschlichen Existenz emotional am stärksten vermitteln. In der Zerreißprobe der Liebesbeziehung werden auch die feinsten Nuancen zwischen Anziehung und Abwendung fühlbar: von der leidenschaftlichen Zuneigung und Selbstaufgabe über entfremdende Eifersucht bis hin zur enttäuschten Abkehr vom Objekt der Liebe. Denn letztendlich, so Evelyn Schlag im Titel eines ihrer Romane, steht doch hinter allem "Die göttliche Ordnung der Begierden".

Sogar die Kunst wird vom Begehren geprägt. In den Gedichten des ersten Zyklus des Bandes mit dem Titel "Juwelen Brasiliens" will die Lyrikerin genau das sichtbar machen. Dafür nimmt sich Evelyn Schlag einige der bekanntesten Meisterwerke der Kunstgeschichte vor. Egal, ob es sich um das berühmte Selbstporträt Dürers, ein beliebtes Gauguin-Gemälde mit Südsee-Schönheiten oder um das Martyrium der Heiligen von Corregio handelt: Hinter jedem Kunstwerk verbirgt sich das Begehren. Beim grausamen Massaker an der heiligen Flavia und ihrem Bruder Placidus lenkt die Betrachterin den Blick darauf, dass "des Mörders / entblößte linke Brust die pralle Beere der Erregung zeigt. / / Das ist im Grunde das geheime Zentrum dieses Bildes." In der Selbstdarstellung Dürers fällt ihr ein "Verdacht erregendes abgegrenztes Gewebe unter dem angehobenen Schwanz" auf, das sie respektlos als "praller Hodenball" entlarvt.

Im "St. Petersburg Poem" wird die "männliche Stadt" zum Geliebten personifiziert. Leidenschaftliche Liebesverse widmet eine Reisende der, nach Dostojewski, "erfundensten Stadt". Als "Undine" ruft sie aus dem Wasser: "In deinen Armen möchte ich als Ganzes untergehen". Aber die mythische Wasserjungfrau wird am Ende betrogen und erkennt: "Wer sich zu tief einlässt mit dir (wie dieser junge / Himmel) ist selbst schuld wenn er blutet." Als Symbol für ein von Männern fremdbestimmtes Wesen spielt die Wassernymphe auch in Bachmanns Poetologie eine zentrale Rolle.

Die Auseinandersetzung mit Krankheit wird im Zyklus "Pathosverbot" zum Liebesdialog mit dem Tod. Verse an den Geliebten sprechen von der Angst vor dem endgültigen Verstummen: "Mit einem Halbsatz bin ich in diesen Schlaf / gegangen mit einem Schweigen erwacht. / Es ist kalt. / (...) Mir fehlt ein Stück und mehr von mir. / (...) Kein Alphabet mir eingeschrieben lag ich / aufgebahrt in Weiß anstatt in Schwarz wie du / mich liebst lag ich im eigenen Vergessen."

Im Zyklus "Die verlorenen Gärten von Heligan" geht die Autorin dem Zusammenhang von Geschlechterverhältnis und Gewalt nach. "Auch Gott ist eben nur ein Mann" denkt man bei der Lektüre des Zyklus "Conditio divina", eine Liebesklage an den abwesenden Gott. Alle Lebensbereiche gehorchen letztlich der "göttlichen Ordnung der Begierden". Einigen weiteren wie der Zeit, Sprache, Heimat oder Natur spürt Evelyn Schlag in den übrigen Zyklen des Bandes nach.

Ihre mal leidenschaftlich-poetischen, mal zornig-widerborstigen Liebesdialoge sind vieles: poetologischer Diskurs und künstlerische Standortbestimmung, Selbstgespräch und Identitätssuche, aber genauso Sprach- und Gesellschaftskritik. Eins sind sie aber nicht: leicht zu lesen. Evelyn Schlag zeigt die Gedichte als Werkstücke mit Kanten und Spänen in der ihr eigenen "Sprache von einem anderen Holz".

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