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Wo soll die Liebe denn auch hin?

August Schmölzer: Der Totengräber im Buchsbaum. Roman. Merlin Verlag 2014. 150 Seiten.

Beitrag vom März 2014 im literaturhaus.at

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Der alte Mann und die Berge. Irgendwann kehrt er zurück. Von der benachbarten Stadt am Meer kommt Josef wieder in seine Heimatstadt in den Bergen. Auch nach dem Krieg ist hier noch alles wie zuvor: die menschliche Kälte genauso wie der Hass auf die Zugewanderten. Und alle sind sie wieder auf ihren alten Posten, als wäre nichts geschehen: der impotente Bürgermeister, der asthmakranke Pfarrer, der hasenschartige, kinderlose Bestatter, der zugewanderte Arzt Dr. Abweger und der sehr kleine Journalist mit der verkrüppelten Schreibhand. Sogar der kehlkopfkranke Polizeikommandant ist wieder im Dienst.

Im Krieg hatte der Polizeikommandant w. i. D. einen Jungen erschossen. Josef war Zeuge. Auch er drückte damals ab. Obwohl es nur der Auslöser seiner Fotokamera war, fühlt er sich schuldig. Auch wenn er als Kriegsberichterstatter den Auftrag hatte, die Gräuel zu dokumentieren. Die Augen dieses Jungen lassen ihn nicht mehr los. Das Bild des kleinen Michael verfolgt ihn bis in seine Heimatstadt. Dort erinnert er sich, wie alles begann.

Er sieht sich selbst als dicken rothaarigen Jungen mit blauen Augen und in Lederhose, der dem Getöteten erstaunlich ähnlich ist. Der erschossene Junge ist Josefs "anderes Ich". Michael zwingt ihn, sich zu erinnern. Als Kind war er häufig krank und lag oft lange im Spital. Er sei ein Hinterling, sagte sein Vater; der schwächste Junge eines Wurfs. Zuhause versteckte er sich im Buchsbaum neben dem Elternhaus. Während sein Bruder mit Freunden Fußball spielte, saß er auf seinem Lieblingsast und sang alleine vor sich hin. Der Dachboden war ihr gemeinsames Versteck; geheimer Zufluchtsort vor der Mutter, die den Bruder lieber mochte als ihren kränklichen Sohn. Sie war es auch, die Josef zwingen will, Koch zu werden. Er aber will Fotograf sein, "damit nie mehr etwas vergessen werde". Deshalb verpflichtete er sich als Kriegsberichterstatter. Ungern lässt er dafür seine Jugendliebe Ragusa zurück, die sich ihm zum Abschied sanftmütig verweigerte. Derb und gewalttätig war dagegen sein erster Sex mit Fräulein Ida.

Als Josef nach dem Krieg aus der Stadt am Meer mit nichts als seinem Uniformmantel zurückkehrt, ist Ragusa, die Frau des Bäckers, frisch verwitwet. Josefs Liebe zu ihr ist noch genauso jung wie vor dem Krieg. Ragusa hatte Recht behalten: "Wenn man wirklich liebt, dann bleibt sie auch, die Liebe, wo soll sie denn auch hin", hatte sie ihm zum Abschied versichert. Ihre gegenseitige Zuneigung ist Signal des Widerstands gegen den Hass auf alles Fremde in der Stadt. Einspruch gegen die soziale Kälte zwischen den hohen Bergen, wo man in den langen und frostigen Wintern ohne Liebe und Zärtlichkeit so schnell erfrieren kann. Josef, der sich als Totengräber bei der Stadt verdingt, wird zum unerwünschten Rückkehrer aus einer Vergangenheit, von der man hier nichts mehr wissen will. Ihm selbst liegt sie wie ein Alpdruck immer stärker auf der Brust.

Josef wird zum Anwalt der Toten und Zugewanderten, für die sich auch Dr. Abweger einsetzt. Es ist kein Zufall, dass der Arzt, als er gegen den Bürgermeister zur Wahl antritt, des Mordes an drei Jungen verdächtigt wird. Worauf er sich erschießt. Ragusa und Josef entschließen sich daraufhin, die Stadt in den Bergen zu verlassen. Endlich im benachbarten Ort am Meer angelangt, wird Josefs Druck auf der Brust unerträglich. Er stirbt an einem Herzinfarkt.

August Schmölzers Roman Der Totengräber im Buchsbaum ist eine Mischung aus brechtschem Lehrstück, kritischem Heimatroman und Antivolkstheater. In seinem szenisch-skizzenhaften Stil wirkt er manchmal wie ein Drehbuch. Mit den nur umrisshaft gezeichneten Figuren und Regieanweisungen lässt Schmölzer dem Leser genug Raum für die eigene Fantasie. Die Sprache ist voller Kanten und Risse und erinnert manchmal an den Reiz eines grob zugeschnitzten Stücks Holz. Szenen von intimer Zärtlichkeit und Sanftheit wechseln jäh mit Passagen von brutaler Gewalt und erotischer Derbheit. Genau diese offenen Widersprüche machen den Charme von Schmölzers Roman aus.

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