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Glühende Landschaften. Buchmessen-Schwerpunkt Türkei.

Glühende Landschaften. Türkei. Der Gast der diesjährigen Buchmesse inspiriert Autoren und Verlage: Märchenhaftes, Historisches und Komisches vom Bosporus.

Rheinischer Merkur, Nr. 41, Rubrik: Literatur, Donnerstag, 9. Oktober 2008, S. 22.

 

„Es war einmal, und doch war es keinmal. In uralter Zeit, da lag das Sieb im Stroh, da war alles Lüge, was wahr war, und wahr, was Lüge war.“ So oder ähnlich beginnen die meisten türkischen Märchen. „tekerleme“ heißen diese Eingangsformeln, die man mit „Wortspiel, Zungenbrecher“ übersetzen kann. Sie sind fester Bestandteil der uralten und überaus reichen türkischen Erzähltradition. Wer sich ein Bild von der bunten Welt der Volksliteratur der Türkei machen möchte, kann das im bei dtv erschienenen Band „Türkische Volksmärchen“ tun. Im bunten Mosaik der von Sevgi Ağcagül und Elisabetta Ragagnin ausgewählten und nacherzählten Geschichten spiegelt sich die kulturelle und ethnische Vielfalt der Türkei. Erstaunlich ist, dass sich neben orientalischen auch europäische Märchenmotive wie Fuchs und Hase oder Tischlein deck dich finden. Die farbige Welt der türkischen Zauberwesen ist vom Gemisch der Kulturen im Land genauso geprägt wie von der geografisch exponierten Lage zwischen Europa und Asien.

 

Schon seit der frühen Bronzezeit befanden sich die Türken in ständigem, wechselseitigen kulturellen Austausch mit ihren jeweiligen Nachbarvölkern. Bereits 2500 v. Chr. transportierten Händler Prestigegüter aus dem Orient Richtung Troja und Balkan – und umgekehrt. Das berichtet Michael Zick in seiner zusammenfassenden Darstellung der Früh- und Vorgeschichte des Landes im Theiss-Verlag „Türkei – Wiege der Zivilisation“. Bei Grabungen in Küllüoba, so der Autor, wurden Bleiflaschen aus Kilikien, Syrische Flaschen, Keramik aus Westanatolien, Gussformen für Idole aus Syrien und Gewandnadeln und Schmuckspangen aus dem palästinensischen Raum gefunden. Weitere archäologische Funde belegen eine Kette solcher Handelszentren entlang einer Hunderte von Kilometern langen Karawanenroute. Sie verlief zwischen Nordwestanatolien und Zentralanatolien und zog sich quer durch das Binnenland. Michael Zicks Fazit: In der Zeit vom 12. Jahrtausend bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. entstand in Anatolien ein kreatives Gemisch, das die Region zum Schrittmacher der menschlichen Kultur machte. Dieses produktive Potenzial sei bis heute spürbar.

 

Ein multikulturelles Gebilde bleibt die Region über Jahrhunderte hinweg. Das im 13. Jh. entstehende Osmanische Reich steigt im 15. Jh. zur bestimmenden Macht in Kleinasien und dem Balkan auf. Die entscheidende Schlacht findet um Konstantinopel statt – das Tor zwischen Europa und Asien. Selbst der Krieg präsentiert sich international. Die osmanische Armee war ein buntes ethnisches Gemisch, so Roger Clowley in seiner im Theiss-Verlag erschienenen historischen Darstellung „Konstantinopel. 1453. Die letzte Schlacht“: Kerntruppen waren Slawen, der führende General ein Grieche, der Admiral ein Bulgare und der Sultan wahrscheinlich halber Serbe oder Mazedonier. 1453 gelingt den Osmanen die Eroberung Konstantinopels. Sie machen es als Istanbul zur Hauptstadt ihres Reichs. Vom 6. Jahrhundert an verfolgt Roger Clowley in seinem umfangreichen historischen Abriss die Geschichte der zahllosen Belagerungen des begehrten Konstantinopels. Ideal am Schnittpunkt von Handelswegen und Militärstraßen gelegen, konnten im Osten die Schätze Zentralasiens über den Bosporus bis in die Stadt geschafft werden. Im Süden führten Straßen in den Mittleren Osten und im Westen erschlossen die Schiffahrtsstraßen durch die Dardanellen das gesamte Mittelmeer.

 

Mit der Eroberung Konstantinopels festigt das osmanische Reich seine politische und wirtschaftliche Macht. Die Gesellschaft bleibt multiethnisch und multikulturell. Das zeigt auch die osmanische Sprache. Vom 13. Jh. bis 1928 Amtssprache, besteht sie aus türkischen, arabischen und persischen Elementen. Eine Redensart besagte: Der Türke spricht mit seiner Familie Türkisch, betet zu seinem Gott Arabisch und redet mit seiner Geliebten Persisch. Diese und andere Sprichwörter, kleine Geschichten, Volkslieder und Lyrik findet man im von Celal Özcan und Rita Seuß bei dtv herausgegebenen Band „Erste türkische Lesestücke“. Der Clou: Die Texte sind parallel auf deutsch und türkisch gesetzt.

 

Wanderer zwischen mehreren Welten sind heute viele junge Türken. Ihr modernes, globales Bewusstsein spiegelt sich auch in der aktuellen Literatur dieser Generation. Da ist zum Beispiel die Autorin Yadé Kara, 1965 in der Türkei geboren. Sie arbeitete als Schauspielerin, Lehrerin, Managerin und Journalistin in Berlin, London, Istanbul und Hongkong. Jetzt erscheint ihr zweiter Roman über Hasan, der mit der Familie jahrelang zwischen Bosporus und Berlin pendelt. Im bei diogenes erschienenen „Cafe Cyprus“ bricht Hasan sein Politik-Studium in Berlin ab und zieht nach London, um Englisch zu lernen. Mit Jobs in Ali’s Supermarket, dem Cafe Cyprus und beim Kebab-Stand verdient er die Miete für seine „one bedroom flat“. Der mit viel Humor und Selbstironie geschriebene Roman über den modernen Nomaden Hasan lässt viele nationale Gewohnheiten und Vorurteile durcheinanderpurzeln. In Esmahan Aykols drittem Kati-Hirschel-Roman ist es eine in Istanbul lebende Deutsche, die mit deutsch-türkischen Vorurteilen aufräumt. In „Scheidung auf Türkisch“ recherchiert die charmante Krimibuchhändlerin und passionierte Detektivin und ihr Freund Fofo in einem Mordfall. Mit dem spannenden, rasant geschriebenen diogenes-Krimi ist der in Istanbul und Berlin lebenden Autorin ein unterhaltsames ironisches Spiel mit nationalen Identitäten gelungen.

 

Humor beweist auch Osman Engin in seinem bei dtv verlegten Buch „Lieber Onkel Ömer“. In vierundzwanzig „Briefen aus Alamanya“ beschreibt er dem Onkel in Anatolien viele deutsche Eigenheiten und merkwürdige Ereignisse quer durch das Jahr – zum Beispiel den Karneval. Eine deutsch-türkische Satire mit viel Selbstironie: literarische Völkerverständigung zum Schmunzeln. Für Kinder hat Anja Tuckermann „Ein Buch für Yunus“ geschrieben: eine bei dtvjunior erschienene Geschichte über die multinationale Patchwork-Familie von Yunus. Er bastelt mit seiner Mutter Maike ein Familienbuch über den türkischen Vater Emre und dessen Mutter Nine, den italienischen Großvater Nonno und die deutsche Omi. Zum Schluss soll er alleine weiterschreiben. Vielleicht findet Yunus ja einen so guten Ausgang für seine Familiengeschichte wie der im Märchen „Kamertaj, das Mondross“, wo es heißt: „Drei Äpfel fielen vom Himmel. Der eine gebührt dem Märchenerzähler, der zweite dem Zuhörer und der dritte – nun der gehört mir.“

Michael Zick: Türkei – Wiege der Zivilisation. Theiss Verlag 2008. 176 Seiten.

Roger Crowley: Konstantinopel 1453: Die letzte Schlacht. Aus dem Englischen übersetzt von Helmut Dierlamm und Hans Freundl. Theiss Verlag 2008. 256 Seiten.

Herausgegeben und übersetzt von Celal Özcan und Rita Seuß: Türkçe Okuma Kitabi. Erste türkische Lesestücke. dtv zweisprachig 2008. Illustriert von Ina Seeberg. 132 Seiten.

Ragagnin, Elisabetta / Agcagül, Sevgi (Hrsg.): Türkische Volksmärchen. Mit Illustrationen von Elisabetta Ragagnin. dtv 2008. 288 Seiten.

Yadé Kara: Cafe Cyprus. Roman. diogenes 2008. 384 Seiten.

Esmahan Aykol: Scheidung auf Türkisch. Ein Fall für Kati Hirschel. Aus dem Türkischen von Antje Bauer Roman. diogenes 2008. 336 Seiten. 1

Engin, Osman: Lieber Onkel Ömer. Briefe aus Alamanya. dtv 2008. 272 Seiten.

Tuckermann, Anja: Ein Buch für Yunus. Eine deutsch-türkische Geschichte. Reihe Hanser 2008. 192 Seiten.

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