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Spannend, geheimnisvoll und fantas-tisch – eine ungeheuerliche Liebe

Carl-Johan Vallgren: Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe. Aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach. Insel 2004. 384 Seiten.

Rheinischer Merkur, Nr. 35, Rubrik: Literatur, Donnerstag, 26. August 2004, S. 21.

 

CARL-JOHAN VALLGREN: Ein Liebesepos, spannend, phantastisch, opulent. Die Schöne und das Ungeheuer.


Spannend wie der „Graf von Monte Christo“, tragisch wie Lynchs Film „Der Elefantenmensch“, schaurig wie Süskinds „Das Parfüm“, geheimnisvoll wie Ecos „Im Namen der Rose“ und fantastisch wie Irvings „Owen Meany“ ... An viele Elemente dieser Buch- und Kino-Bestseller erinnert Carl-Johan Vallgrens jetzt in deutsch erschienener Roman „Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe“. Der junge schwedische Schriftsteller greift in der Erzählung einige Zutaten dieser Erfolgsrezepte auf, adaptiert sie und variiert sie mit Phantasie und spürbarer Fabulierlust. Er habe eine «Liebesgeschichte in der fantastischen Tradition» schreiben wollen und sei wohl der letzte lebende Romantiker, sagte Carl-Johan Vallgren beim Erscheinen seines bereits mit dem August-Strindberg-Preis prämierten Romans im schwedischen Original. Und das ist ihm auch, vor allen Dingen in der ersten Hälfte des Buches, gelungen.

 

Held der Geschichte ist Hercule Barfuss, der sich, im Gegensatz zu Namenspatron Herkules, durch nichts weniger als außergewöhnliche körperliche Kräfte auszeichnet: Hercule kommt, fratzenhaft entstellt durch eine riesige Hasenscharte und beulenartige Verwachsungen, als Monster zur Welt. Kaum einen Meter groß, gehörlos und ohne Arme, ist er zum Überleben auf die Geschicklichkeit seiner Füße angewiesen. Aber sein überdimensionaler Wasserkopf, der seine Mutter, eine Prostituierte, bei der Geburt das Leben kostet, birgt eine hohe Intelligenz und übermenschliche geistige Kräfte: Hercule kann sich in die Gedanken anderer hineinversetzen, sie lesen und sogar lenken.

 

Zur gleichen Zeit wird im Winter 1813 im Nachbarzimmer des Königsberger Bordells ein bildschönes Mädchen mit dem Namen Henriette Vogel geboren. Die beiden so unterschiedlichen Kinder wachsen zusammen auf und finden paradoxerweise in der Welt der käuflichen Lust Geborgenheit und Zuwendung. Die gegenseitige Zuneigung wird zur unzertrenntlichen Liebe. Bis eine Katastrophe, die Attacke eines Sexualverbrechers, zur plötzlichen Auflösung des Bordells führt und das skurrile Liebespaar gewaltsam trennt. Eine Odyssee beginnt, die Hercule quer durch Europa, von Ostpreussen über Rom und Liverpool nach Berlin führt. Grausame Stationen in Irrenhäusern und den Folterkammern der Teufelsaustreiber einer wiederbelebten Inquisition wechseln ab mit Orten, die Hercules abscheulicher Gestalt und seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten Schutz gewähren. Ein Kloster nimmt ihn auf, wo er sein musikalisches Genie an der Orgel unter Beweis stellt. Später wird er die Attraktion eines Wanderzirkus’ und zum Freund des zwergenhaften, sozialistischen Zirkusdirektors. Schließlich landet er, einsam, hoffnungslos und völlig am Ende seiner Kräfte auf der Strasse. In diesem Moment taucht engelsgleich seine große Liebe auf. Als Ehefrau eines reichen Gönners kann Henriette ihm Schutz bieten. Es folgt eine heimliche Zeit kurzen gemeinsamen Glücks, in der Tochter Charlotte auf die Welt kommt. Aber auch diese Episode endet jäh und gewaltsam und mündet schließlich in einen grausamen Rachefeldzug Hercules, der erst dann aufhört, als er realisiert, dass seine Liebe zu Henriette stärker ist als der Tod. Von nun an widmet sich Hercule der Entwicklung einer Taubstummen-Kultur. Mit 101 Jahren stirbt er 1914 in Martha's Vineyard an der Ostküste der Vereinigten Staaten als Begründer einer neuen Taubstummen-Generation und hoch angesehener Schöpfer einer Gebärdensprache.

 

Die emotionale und motivische Vielfalt des Buchs ist gleichzeitig seine Stärke und Schwäche. Manchmal geht Vallgrens Vorliebe für fantastische Details mit ihm durch. Und der Leser wird das Gefühl nicht los, Passagen in anderen Romanen schon einmal gelesen zu haben. Vor allem im zweiten Teil des Buchs verliert die Geschichte an Spannkraft und verlangt bei grausamen und blutigen Kapiteln starke Nerven. Andererseits spielt Vallgren souverän mit bekannten Roman-Motiven und historischen Requisiten und jongliert überzeugend mit unterschiedlichsten Erzähltechniken wie Montage, Rahmenhandlung, Briefroman-Elementen und Perspektivwechseln – die er mit dem „Trick“ des Gedankenlesens wechselweise in Bösewichter wie Schutzengel verlagert. Nicht zuletzt dadurch bietet Vallgrens packender Schmöker die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bestseller-Verfilmung.

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