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Tagebuch eines angehenden VAWi-Teilnehmers

Studien-Reportage VAWI

erschienen im Rheinischen Merkur

 

Freitag, Mitte April. Schauenburg-Elmshagen in einem Tagungshotel außerhalb von Kassel. Ein kalter Wind bläst über die Höhenrücken. Auf dem Hotelflur sucht ein Gast sein Zimmer. „Sie gehören auch zu VAWi? Sehen wir uns gleich unten beim Essen?“

 

Ein wenig später in der bürgerlichen Hotel-Gaststätte: Zwei Tische sind von kleinen Gruppen besetzt, die sich angeregt unterhalten. Wieder das Codewort: „Gehört Ihr auch zu VAWi? Darf man sich dazusetzen?“ Auch der Zimmernachbar setzt sich zum Tisch.  Noch einige weitere kommen hinzu – Männer und Frauen zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig, die Mehrzahl schätzungsweise plus/minus dreißig. Die meisten, das sieht man, kennen sich nicht. Trotzdem einigt man sich schnell auf das „Du“. Und immer wieder die gleichen Fragen: „Wo kommst Du her? Was hast Du bis jetzt gemacht? Warum hast Du dich für VAWi entschieden?“ Und: „Wie weit bist Du?“

 

Stichwort VAWi: die Kurzform für „Virtuelle Aus- & Weiterbildung Wirtschaftsinformatik“. VAWi ist ein internetbasiertes Masterstudium der Universitäten Bamberg und Duisburg-Essen unter Beteiligung der Universität Erlangen-Nürnberg sowie weiterer Hochschulpartner, das mit dem Grad „Master of Science“ (M.Sc.) abschließt. Der dreisemestrige Studiengang, der auch berufsbegleitend als Teilzeitstudium absolviert werden kann, richtet sich an Hochschulabsolventen aller Fachrichtungen, die bereits über Berufserfahrung verfügen. Das Studium beruht auf einer Kombination von kurzen Präsenzphasen zu Beginn und am Ende des Semesters und multimedialen, tutoriell unterstützten Fernlernphasen während des Semesters. Neben ausgewählten Grundlagen der BWL, Informatik und Wirtschaftsinformatik im Pflichtbereich werden im Wahlpflichtbereich strategisch-managementorientiertes und technisch-operatives Wissen sowie Schlüsselqulaifikationen vermittelt.

 

Und wieder zurück in Schauenburg-Elmshagen, abends in der Hotelgaststätte. Mittlerweile hat ein reger Austausch zwischen Erstsemestern und Studenten begonnen, die bereits länger, manche schon seit Einführung des Studiums im Wintersemester 2001/2002 dabei sind. Die Studenten kommen aus Stuttgart, Würzburg, München, Bamberg, Düsseldorf, Bonn, Köln oder Berlin. Bayerisch, fränkisch, schwäbisch, berlinerisch und Ruhrgebiets-Dialekte mischen sich. Die unterschiedlichsten Wohnorte, Lebensläufe, Arbeitsbereiche und Studien-Motivationen werden vorgestellt. Einige Beispiele: Am Tisch sitzt ein Theologe, der nach mehrjähriger Cobol-Programmierung in einem internationalen Elektronik-Konzern als Gruppenleiter im Bereich Personal-Informationssysteme tätig ist und sich durch das VAWi-Studium praktische Unterstützung für seine verantwortungsvolle Projektarbeit erhofft. Ein IBM-Manager möchte sein Fachhochschulstudium durch einen Universitätsabschluss ergänzen, um damit seine Chancen zu verbessern, sich beruflich in Richtung FH-Lehrtätigkeit umzuorientieren. Ein Betriebswirtschaftler mit dem Schwerpunkt Data-Warehouse, Datamining ist Opfer der wirtschaftlich schlechten Situation der IT-Branche geworden und sucht nach einer neuen Herausforderung; das Studium, so hofft er, erhöhe langfristig seine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Ein Mathematik- und Physiklehrer, bei einer Versicherungsgesellschaft als Anwendungsentwickler tätig, fühlt sich in seiner Programmiertätigkeit fachlich unterfordert und möchte sich via Studium in neue Themengebiete einarbeiten. Zwischen die überwiegend männlichen Studenten mischen sich maximal ein Drittel Frauen. Auch hier finden sich die unterschiedlichsten Biografien: Informatikerinnen, IT-Consultants und Projektleiterinnen, Geisteswissenschaftlerinnen, die sich, als Quereinsteigerinnen in der Internetbranche tätig, berufsbegleitend fundiertes IT-Wissen und betriebswirtschaftliches Know-How aneignen möchten; in der Lernsoftware-Entwicklung tätige Lehrerinnen, die zur Verbesserung der Karrierechancen einen „harten“ Studienabschluss wie den Master of Science für förderlich halten ...

 

Der nächste Morgen. Ein straffes Tages-Programm erwartet die Teilnehmer. Die Präsenzphasen sind auf das Mindestmaß beschränkt: Jetzt zu Beginn des Semesters muss ein Tag genügen, um formale Dinge zu besprechen und die Studienangebote des aktuellen Semesters vorzustellen. Am Ende des Semesters werden in maximal zwei bis drei Präsenztagen die Studienleistungen in Form von Klausuren in den jeweils wohnortnächsten Universitäten vor Ort geprüft. Aber Montag beginnt erst einmal das Sommersemester, und es gibt noch Etliches zu klären.

 

Ein Kurzabriss von Studienaufbau und Studieninhalten: Das Studium besteht aus den vier Hauptkomponenten Pflichtmodule, Wahlpflichtmodule, Projektarbeiten und Masterarbeit, in denen insgesamt 98 Leistungspunkte nach dem European Credit Transfer System (ECTS) erbracht werden müssen. Das ECTS-System zielt auf einen europäischen Standard ab, der die Studienleistungen vergleichbar machen soll, so dass sie in anderen EU-Universitäten leichter angerechnet werden können. Aufgrund der heterogenen Vorkenntnisse der Teilnehmer sind in die Pflichtmodule Organisation & Management, Basistechnologien sowie Systementwicklung ausgewählte Grundlagen aus betriebswirtschaftlichen, informatiknahen, beziehungsweise wirtschaftsinformatikorientierten Bereichen integriert. Neben Grundlagen der BWL, Rechnungswesen und Controlling, E-Business und Informations- und Wissensmanagement finden sich Seminare zu Datenbanken und Archivierungssystemen, Modellierung von Systemen und Prozessen, außerdem Kurse zu Rechner-, Betriebs- und Kommunikationssystemen oder Grundlagen der Programmierung. Die Wahlpflichtmodule decken sowohl den strategisch-managementorientierten als auch den technisch-operativen Bereich des Studiums ab. Das Studienkonzept bietet hier bedarfsgerechte und nachfrageorientierte Spezialisierungsmöglichkeiten an, die den persönlichen Anforderungen und Interessen der Studierenden gerecht zu werden versuchen. Zusätzlich bilden Schlüsselqualifikationen wie Projektmanagement oder Rechtliche Regelungen weitere wichtige Bausteine des Studiums.

 

Zurück zur sogenannten Kick-Off-Veranstaltung: Ein großer Tagungs-Saal, voll besetzt mit über hundert Studenten. Noch mehr unbekannte Gesichter, noch mehr Namen, noch mehr Biografien ... Unterlagen werden verteilt, Informationen zu aktuellen Seminaren vorgetragen. Und natürlich das Wichtigste für die Neuen: Zugangsdaten und Passwörter für die virtuelle Lernplattform. Alles äußerst dicht und im Gegensatz zu traditionellen Studienbedingungen ungewöhnlich flexibel: So werden z.B. formale Änderungen der Prüfungskonditionen im Schnellverfahren abgestimmt und sofort verabschiedet.

 

Szenenwechsel: Montag, Studienbeginn. Der spannende Augenblick vor dem Rechner zu Hause. Das erste Mal gibt man das Passwort ein – und es funktioniert! Und dann der erste Moment der Verwirrung: Foren, Chats, Arbeitsgruppen-Plattformen, Online-Kurs-Kalender, das voreingerichtete individuelle Studenten-Nutzer-Profil anpassen, die eigene Homepage gestalten, die persönliche E-Mail einrichten ... Jetzt zum Wichtigsten: Kurse belegen. Scheint einfach. Ein Klick und dann zur Online-Kursumgebung. Schien einfach, klappt dann doch nicht immer so. Vielleicht hat es mit den Hardware- und Software-Komponenten des eigenen sogenannten „Client“ zu tun? Immerhin sind die technischen Voraussetzungen nicht gerade minimal: Ein Computer (Pentium III) mit Internetzugang (Empfehlung: mindestens ISDN), Browser (bestimmte Lernumgebungen verlangen Internet Explorer 6.0), CD-ROM-Laufwerk, Macromedia Shockwave Player bzw. Flash Player, Java 1.3 und JavaScript aktiviert. Aber auch die software-technische Aufrüstung beseitigt noch nicht alle Probleme. Einige Kurse sind einfach noch nicht verfügbar, für andere werden zusätzliche Passwörter benötigt, manche Kursumgebungen setzen die aktuellsten Browser-Versionen voraus oder es werden sogar Video-Mitschnitte der Vorlesungen angeboten, die nur bei einer hohen Leitungskapazitäten überhaupt flüssig abspielbar sind. Also: E-Mails schicken und rein in die Foren und die Tutoren fragen! Viele Fragen sind schon gestellt und zum Teil schon beantwortet; man tastet sich vor, Klick für Klick, Link für Link ein Stückchen weiter in die VAWi-Online-Welt. Und dann ist da plötzlich ein Name, an den man sich von der Präsenzveranstaltung erinnert, ein Gesicht taucht aus der Erinnerung auf und man wagt es: Die erste „Instant Message“, eine Art Online-Telegramm, die sofort auf dem Bildschirm des anderen Studenten erscheint und mit einem kurzen „Ping“ angekündigt wird. Und tatsächlich kommt eine Antwort aus dem virtuellen Raum zurück, und es entspinnt sich ein kurzer Dialog. Und schließlich greift man dann doch zum altbewährten Medium: dem Telefon. Mit der Stimme in der Leitung gegenüber ist es eben doch persönlicher und viele Fragen lassen sich auch schneller telefonisch besprechen. Die erste Woche ist rum, zahlreiche Lerndokumente sind „downgeloadet“ und zum leichteren Bearbeiten ausgedruckt. Andere stehen als interaktive „Offline-Anwendungen“ zur Verfügung, zum Teil sogar mit interaktiven Lerntests. Viele unterschiedliche virtuelle Lehrformen werden angeboten und erfordern neben Selbstlernkompetenz in gleichem Maße hohe Medienkompetenz.

 

Sowohl für die Teilnehmer als auch für die Dozenten ist das online-basierte Studium eben noch ein Pilot-Projekt. So hat sich beispielsweise, für die Professoren absolut unerwartet, schnell herausgestellt, dass das reine Online-Lernen nicht auf die erwartete Akzeptanz der Studenten gestoßen ist. Die meisten möchten die Unterlagen downloaden und ausdrucken können, um sie offline zu bearbeiten. Das internet-basierte Studium ist ein Experiment, dass, so Prof. Adelsberger, jedes Semester wieder erneut auf seinen Erfolg hin überprüft und angepasst werden muss. Entgegen der Forderungen von Wirtschaft und Bildungsentscheidern hat sich die zeit- und ortsunabhängige Lernform bisher auf breiter Basis nicht durchgesetzt. VAWi ist neben dem ebenfalls von Bundesmitteln geförderten Winfoline-Projekt (www.winfoline.de) deshalb immer noch relativ einzigartig in der Online-Studien-Landschaft. Mit der professionellen, dem technischen Standard entsprechenden Online-Plattform und seinem engagierten Team hat VAWi in jedem Fall Vorbildcharakter für weitere Angebote, die in Zukunft sicher zunehmend nachgefragt werden.

 

Studien-Steckbrief VAWi:
-    VAWi- Virtuelle Aus- & Weiterbil-dung Wirtschaftsinformatik
-    Projekt im Zukunftsinvestitionsprogramm der Bundesregierung
-    Studium an den Universitäten Duisburg-Essen und Bamberg unter Beteilung der Universität Erlangen-Nürnberg sowie weiterer Hochschulpartner
-    Abschluss: Master of Science (M.Sc.)
-    Voraussetzungen: erfolgreich abgeschlossenes Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule oder ein mindestens mit „gut“ bewerteter Abschluss eines FH-Diplom- oder -Masterstudiengangs + mindestens 2 Jahre Berufserfahrung
-    Vollzeitstudium oder berufsbegleitend
-    Minimum: 3 Semester + 1 Semester Master-Arbeit
-    Kosten: bei Studienbeginn ab SS 03 und -abschluss bis WS 04/05 für das gesamte Studium 6.150 Euro (danach für je zwei Semester gültige Steigerung der Gebührensätze von max. 20 %)
-    Beginn WS oder SS
-    Seit Oktober 2001 – 133 Teilnehmer
-    Informationen unter www.vawi.de

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