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Der Frauenversteher

Roger Willemsen: Kleine Lichter. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2005. 205 Seiten.

Rheinischer Merkur, Nr. 15,  14.04.2005, Seite 22
Zweitveröffentlichung vom 06.06.2005 im titel-magazin

titelmagazin.com/artikel/4/2265/roger-willemsen-kleine-lichter.html

 

ROMAN Roger Willemsen versucht sich im Minnedienst für die Liebe und scheitert

 

Deutschlands Vorzeigeintellektueller Roger Willemsen ist ein Markenzeichen. Der Inbegriff eines für das Fernsehen maßgeschneiderten Medienprodukts. Der Moderator steht für TV-Kommunikation auf gehobenem Niveau. Er strotzt nur so vor Kompetenz, ist gebildet, redegewandt und schlagfertig. Und er weiß nicht nur fast alles über Philosophie, Kunst und Literatur, sondern kann auch noch äußerst brillant darüber kommunizieren.

 

Ein Blitzdenker und Schnellredner, kurzum, ein heller Kopf, der sich von den geistigen Tieffliegern auf der Mattscheibe besonders abhebt. Für den normal gebildeten Zuschauer fast ein wenig zu belesen: ein kultureller Musterschüler eben, den die gebildeten Stände gerne als Schwiegersohn in ihr Haus einführen würden. Und aus diesem Grund steht Roger Willemsen genau für eins nicht: für Passion, Liebe, Leidenschaft, Sinnlichkeit, Erotik, Elegisches oder Pathetisches. All das passt ganz und gar nicht in sein Marken-Portfolio.

 

Und weil er das weiß, bedient sich Autor Willemsen in seinem literarischen Debüt über die Liebe eines Tricks. Als Sprachrohr und Ich-Erzählerin seines Buchs „Kleine Lichter“ erfindet er eine Frau, Valerie. Das hat seinen Grund. Denn dem bekanntlich ach so emotionalen weiblichen Geschlecht verzeiht man beinahe alle Facetten eines allzu oft peinlichen Liebesmonologs: verspielt Albernes, pathetisch Absolutes, lächerlich Banales, entsetzlich Romantisches und bis zur Selbstaufgabe Leidenschaftliches.

 

Und der gewiefte Autor Willemsen baut noch eine weitere literarische Finesse ein, damit das Urteil über seine Liebestiraden nicht allzu hart ausfällt: Es sind gesprochene Aufzeichnungen. Valerie nimmt sie auf Tonbandkassette für den im Koma liegenden Geliebten auf.

 

Akustisch konservierte Liebesbezeugungen aus einer nicht aufhebbaren Trennung. Die schon immer vorhandene Distanz – sie ist Kunsthändlerin in Tokio, er Restaurator in Wien – scheint nun endgültig. Eine Situation, die jedes Pathos zu rechtfertigen vermag. Aber trotz aller Winkelzüge: Die Erzählperspektive will nicht authentisch wirken. Der Leser wird das Gefühl nicht los, durch jede Zeile Roger Willemsens soufflierende Geisterstimme zu hören.

 

Die fiktive Erzählerin bleibt, wie die Frau auf dem Buchcover, gesichts- und sprachlos. Das Sprechen über die Liebe wirkt künstlich. Und wird es noch mehr dadurch, dass der Autor auch noch unablässig damit kokettiert, indem er es ironisiert und reflektiert.

 

Koketterie der reflexiven Liebesrede


Natürlich ist Willemsen Philosoph, Kunstgeschichtler und Literaturwissenschaftler genug, um zu wissen, dass er der Liebe – neben dem Tod seit jeher das zentrale Thema der Literatur – nichts wirklich Neues entlocken kann. Aber er will es trotzdem versuchen und zieht dafür alle Register: Valerie betet Rashid an, sie fleht, klagt, verehrt, überhöht und erniedrigt ihn, sehnt den Geliebten herbei und verwünscht ihn. Sie schreibt anachronistisch formulierte Briefe in Sie-Form, verwendet das vertraute Du für intimes Liebesgeflüster, beschwört elegisch Erinnerungen, sehnt konjunktivisch seine Nähe herbei und projiziert ihre Sehnsucht in eine nie eintretende Zukunft. In wechselnden Tempi wird das Liebesgebet mal philosophisch abstrakt, mal orientalisch ornamental, mal prosaisch nüchtern, mal erotisch leidenschaftlich.

 

Und tatsächlich gibt es zahlreiche Passagen, in der die Sprache die Liebe mit ungewöhnlichen Bildern und unerwarteten Formulierungen ins Mark trifft. Aber ihre Wirkung wird im Redestrom neutralisiert, von der enormen Fallhöhe zwischen Originellem und Banalem aufgehoben. Und von der Koketterie der sich selbst reflektierenden Liebesrede geschwächt. Ein Liebesmonolog im Leerlauf. Willemsen strampelt wacker im Minnedienst für die Liebe und kommt der Angebeteten doch nicht wirklich näher.

 

Dabei hätte es vielleicht ein Heilmittel gegeben: die Ironie. Denn obwohl die Sprache ironisiert, wird sie doch nie ironisch. Nichts ist Willemsens Text fremder als Humor. Man merkt, dem Liebesritter ist es sehr ernst mit der Liebe. „Ich wollte immer ein Buch über die Liebe schreiben, bis ich 60 bin“, sagt er.

 

Nun ja, genau so klingt es auch: „Kleine Lichter“ ist ein literarisches Projekt, in dem das Thema „Liebe“ umfassend gedanklich beleuchtet und in all seinen Facetten umkreist wird. Und der Leser möchte, frei nach Goethes „Faust“, sagen: „Die Botschaft hör ich wohl, allein, mir fehlt die Liebe.“

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