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Franz Zalto: Der Deppenfelsen.

oder Das endgültige Scheitern des unverbesserlichen Optimisten Christoph Columbus.
Weitra: Bibliothek der Provinz 2007. 188 Seiten; geb.;

zuerst erschienen in: Literatur und Kritik 421/422, März 2008.

Zweitveröffentlichung vom 28.04.2008 im literaturhaus.at
www.literaturhaus.at/index.php

Nichts und Wiedernichts – Oder Selbstporträt eines astrologievernarrten Romanschreibers als trinkendes Tagebuch

Was braucht man, um einen modernen Schelmenroman zu schreiben? Ein Notizheft, einen Bleistift und ein Flugticket auf die Kanaren. Zur Ferieninsel Gomera verschlägt es Franz Schlumberger und sein Tagebuch eher unfreiwillig. "Deppenfelsen" nennt er die gomerische Steilküste, wo, wie es ihm scheint, sämtliche Unsitten des Zeitgeistes auf touristisch engstem Raum aufeinanderhocken. "Der Deppenfelsen" heißt auch der Roman Franz Zaltos, in dem Schlumberger die Hauptrolle spielt – neuzeitliches Gegenstück zu Sebastian Brants "Das Narrenschiff". Genau fünfhundertundzehn Jahre nach Erscheinen der Moralsatire "sticht" der angehende Romanschreiber und damit hauptamtliche Narr Schlumberger mit einem neuzeitlichen "Luftschiff" in den Himmel über Wien-Schwechat, wie es im Schlumberger-Jargon heißt. Pünktlich zur Einäscherung seiner Ex-Frau Helga soll er auf Teneriffa landen. Erwartet wird er dort vom vormaligen Arbeitgeber und letzten Lebensgefährten seiner Frau, Dr. med Händlmair.

Schon während des Fluges lügt er sich in sein Tagebuch, wie Schlumberger selbst seine skurrillen Gedankenflüge beschreibt. Wahr dagegen ist, dass er mit seinen Echtzeit-Notizen im Viertelstunden-Takt vergeblich schreibend der Zeit hinterherjagt. Und das nicht nur, weil die Uhr im Flugverlauf zeitzonenbedingt zurückgedreht wird. Sogar die Flucht nach vorne ist zwecklos, denn: "Auch im Davonfliegen vor ihr vergeht sie einem noch, die Zeit." Fazit: Jeder noch so hohe Gedankenflug kommt einmal zur Landung. Der Zielflughafen heißt in diesem Fall Teneriffa.

Endgültig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird Schlumberger vom Donauwalzer im Krematorium und Huhn mit schwarzen Bohnen zum Leichenschmaus. Zumindest bis zum feuchtfröhlichen Abend auf der Veranda des Händlmairschen Altersruhesitzes auf La Gomera, wo der frisch Verwitwete und der trinkfreudige Nihilist Bruno, mit zwei Litern kanarischem Rotwein und einigen Gläsern Brandy aus Jerez auf die Verstorbene anstoßen. Die ernüchternde Bilanz am Tag danach: Ein dicker Kopf, ein Rückflugticket erst in drei Wochen und ein Brief sowie eine Promenadenmischung als einzige Hinterlassenschaft seiner Frau. Bruno ist für vierzehn Tage Heimaturlaub in Wien. Helgahund wird Schlumberger bei Ilse Maier Kupferberg los, Freundin der Heimgegangenen und typische Vertreterin der Kategorie junggebliebene, künstlerisch und esoterisch ambitionierte Aussteigerin.

Aber was tun gegen die Langeweile, nachdem er seinen Volkshochschulvortrag über den Dichter Marcel Oppenheimer abgesagt hat?
"Will ich nicht schon vor Brunos Rückkehr vollkommen übergeschnappt sein, werde ich mir eine Beschäftigung suchen müssen, die über das Tagebuchschreiben und das Saufen hinausgeht, notiert der Aufgewachte. Also Tee trinken und einen Roman schreiben. (...) Als Romanvorlage könnte er der Einfachheit halber verwenden, was auf dem Tisch liegt. Helgas Schulheft zum Beispiel oder das Bordbuch der ersten Indienfahrt des Christoph Columbus".
Als Expeditionsastrologe Francisco de Naranjo y Schlumberger schifft er sich auf Columbus' Pinta ein. Im August 1492 segeln sie los; zunächst Richtung Kanaren, wo der Entdecker bei seiner großen Liebe Beatriz de Bobadilla auf Gomera Halt macht. Aus der Perspektive von vor gut über fünfhundert Jahren blickt Sterndeuter Schlumberger nun in die Gegenwart, die damals noch in ferner Zukunft liegt.

Im Disput mit Columbus und Doña Bobadilla warnt der trunksüchtige Don Francisco vor den unabsehbaren Folgen, die Columbus' Entdeckertum haben wird. In gut fünfhundert Jahren würde der Homo Schlumbergeriensis, so die Weissagung Don Schlumbergers, in Massen Tausende Meilen weit mit riesigen Luftschiffen nach Gomera fliegen, nur um sich dort der Kleider zu entledigen und mindestens sechs Tage lang auf einem gemieteten Flecken Sand nackt in der Sonne zu liegen. Das ewige rastlose Unterwegssein, auch Columbus-Syndrom, sei aber nur eins der Symptome der sogenannten Schlumbergerzeit. Der moderne Mensch, so der Bordastrologe, erkläre Gott für tot, nehme in egozentrischer Selbstüberhebung seinen Platz ein und ersetze schließlich Glauben durch Wissenschaftsgläubigkeit. Das Ergebnis? "Nichts und Wiedernichts – besser bekannt unter seinem bürgerlichen Namen Franz Schlumberger."

Dieser erklärt den Romanentwurf frei nach Christoph Columbus' Bordbuch für gescheitert. Ebenso das zweite Schreibprojekt, ein Brief an die verstorbene Ehefrau. Sein Denken, so Schlumberger, laufe nur noch seinem "Bleistift hinterher, fragt sich, ob tatsächlich wahr sein kann, was er da schon wieder geschrieben hat, kommt aber zu keinem Schluß, weil der Bleistift längst um die nächste Ecke gebogen (...) ist und mein Denken sich sehr beeilen wird müssen, will es nicht abgehängt werden. (...) Wenn der Bleistift nach drei Wochen endlich anhält, steht ein vollendetes Drama aus Nichts auf dem Papier und wenn sie ihn drei Monate hätten laufen lassen, wäre es ein umfangreicher Roman aus Nichts und Wiedernichts geworden."
So aber trete der Schlumbergereffekt in Kraft, entlaste der Autor selbst den Literaturbetrieb durch Versenken seines Romans unter Umgehung der dafür vorgesehenen Einrichtungen des Verlagswesens und des Buchhandels – schließt Franz Schlumberger, streift seine Narrenhaut ab und behauptet das Gegenteil.

Im Gegenteil: Franz Zaltos hoch reflektives und erzählerisch komplex verschachteltes Narrenspiel über "Nichts und Wiedernichts" ist erstens unversenkbar und zweitens ein rundum gelungener Roman – komisch und nachdenklich, ironisch und intelligent und zu allem Überfluss auch noch genauestens recherchiert und streng erfunden. Denn natürlich meint er es ernst und auch wieder nicht ernst. Wie Columbus' Bordbuch enthält "Der Deppenfelsen oder Das endgültige Scheitern des unverbesserlichen Optimisten Christoph Columbus" nämlich einen "Haufen Wahrheit, eingesponnen in feinstes Seemannsgarn". Ob wahr oder erfunden, Franz Zaltos "Schlumbergisieren", sein närrischer "bergauf fließender Redefluß" machen den "Deppenfelsen" unwiderstehlich.

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