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Joseph Zoderer: Liebe auf den Kopf gestellt.

München: Hanser 2007. 103 Seiten; geb.;
Rezension vom 6.08.2007 im literaturhaus.at
www.literaturhaus.at/index.php

Prosaisch poetische Schichtungen

Mit Prosa-Werken wie dem Roman "Die Walsche" ist der südtiroler Autor Joseph Zoderer bekannt geworden. Er selbst meint, er sei "von der Begabung her mehr Lyriker als weitausholender Prosaist". Die Gedichte seines neuen Lyrikbandes "Liebe auf den Kopf gestellt" erscheinen allerdings zunächst auch recht prosanah. Kein Reim, kein regelmäßiges Metrum, keine klassischen Versformen sind zu finden. Statt dessen: optisch kompakte Vielzeiler aus grammatikalisch vollständigen, fast interpunktionslosen Sätzen - strukturiert nur durch den regelmäßig pendelnden Zeileneinzug der gleichmäßig langen Verse. Metrisch akzentuiert werden die hypotaktischen Satzkonstruktionen durch Schrägstriche. Rhythmische Taktgeber, die gleichzeitig fast alle Satzzeichen ersetzen. Nüchtern und prosaisch ist auch die Präsentation und Zusammenstellung der knapp hundert überschriftenlosen Gedichte. In ihrer Abfolge sind weder besondere Dramaturgie noch zyklische Gliederungen zu erkennen. Auch der Index markiert keine inhaltlich oder formal verwandten Verse, sondern listet die Gedichtanfänge der schlichten Seitenfolge nach auf.

Mit dem Buchtitel "Liebe auf den Kopf gestellt" wird als Hauptmotiv dagegen das poetischste aller lyrischen Themen angegeben. Tatsächlich finden sich in dem Band neben Liebesgedichten auch viele andere Motive. Oft beschreiben die Verse das aktuelle Existenzbewusstein oder die momentane Seelenlage des lyrischen Subjekts. Viel ist von Alltäglichem, Prosaischem die Rede: von Regentagen im Haus, von Stadt- oder Cafébesuchen, Spaziergängen in der Natur oder von Zugreisen.

Ungewohnt dabei ist die Art der Wahrnehmung. Mit einer Art liebendem Blick werden prosaische und poetische Dinge zusammengedacht. Damit stellt der Autor tatsächlich etwas auf den Kopf: nämlich das Existenzbewusstsein des Lesers. Innen und außen werden durchlässig, intime Körperwelt und Umgebung interagieren miteinander, subjektive Seelenzustände und soziale Beziehungen überlagern sich mit Objekten der Natur.

Durch diese poetische Technik kommt es zu gleichzeitig konkreten und surrealen Bildern wie diesem: "Heute morgen / auf dem Waldweg / hat sich eine / zwanzig Meter hohe Fichte / an mich gelehnt / eine Amsel versuchte / mein rechtes Auge zuzudrücken (...)". Wen wundert es da, dass die Geliebte sich ihre Zehen von Amseln und von Tannenhähern küssen lässt. Und wie selbstverständlich erscheint es, wenn das lyrische Ich eine durch die offene Tür des Milchladens geflogene Taube bittet, ihm in der Nacht die schwarzen Körner aus seiner Brust zu picken. Selbst Zivilisationsmüll wird dabei zum Vehikel poetischer Zusammenschau, wenn hier, wie in einigen Zeilen, weggeworfene Plastikbecher den Waldweg erhellen oder leergetrunkene Samstagsflaschen dem Wind für Schlafpausen dienen. Sogar ein schillernder Ölfleck kann zum Liebeslager erhoben und, wie in diesen Versen, ein Ratten- zum erträumten Liebesnest werden: "Ich könnte Wintermoos zusammenraffen / meine Manteltaschen / vollstopfen / und damit hinter meinen Wänden / ein Nest bauen / für eine Rattenliebe". Schließlich ist der Gedichtband ja auch "Der Königin der Ratten" gewidmet.

Der poetische Effekt: Verschiedenste unzusammengehörige, in sich geschlossene Wirklichkeits- und Wahrnehmungsebenen gewinnen in Zoderers Gedichten an Durchlässigkeit und überlagern sich. In den Übergängen, in den Zwischenräumen entsteht etwas Neues. Das bildliche Ineinanderschieben von Schichten und Schichtungen findet seine syntaktische Entsprechung in den durch Schrägstrichen rhythmisierten, ohne Interpunktion ineinandergeschobenen Sätzen und Satzteilen der Gedichte. Auch in den Satz-Strich-Sinn-Einheiten bilden sich neue poetische Bezüge, ohne dass dafür die prosaische, grammatikalisch korrekte Lesart verloren geht oder zerbrochen werden muss.

Mit diesem poetischen Konzept bleibt Joseph Zoderer seinem Image als südtiroler Grenzgänger auf ganz anderer Ebene treu. Wie biografisch zwischen Italien und Österreich bewegt er sich auch in seinen Gedichten auf der Suche nach neuen Wahrnehmungsformen programmatisch auf Grenzgebieten. Und immer wieder gelingt ihm ein zärtlich liebender Blick, der vieles zusamendenkt und einiges auf den Kopf stellt. Ein kunstvoller Blickwechsel, mit dem ein prosaischer Farbübergang im Putz einer Häuserwand, wie er auf dem Buchcover dargestellt ist, ganz nach dem Vorbild der abstrakten Gemälde Marc Rothkos zum poetischen Horizont werden kann.

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