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Fünfter sein ...

... oder einer ist immer zu viel.

 

Badewannenrekord

 

Der Himmel ist eine blaue Wanne
mit Schauminseln zart wie Gaze.
Ich tauche hinein, kopfunter,
wie damals als Kind beim Baden
ins lauwarme Wasser. Als siebte
und letzte. Erst die Eltern, dann
die Kinder. Fünf, vier, drei, zwei,
eins. Ich halte die Luft an. Puste sie
langsam mit gespitzten Lippen hinaus.
Blubbere, bis die Lungen schmerzen.
Japsend tauche ich auf und drücke
die Stoppuhr, knallorange und wasserdicht.
Einsamer Rekord: Ich habe mich
mal wieder selbst überboten.

 

Aufgef(r)ischt

 

Im Heckengrün Delphingezwitscher. Ein Spatz
macht auf Flipper. Brav gescheitelte Kinder
Serienträume vom weißen Sand und Palmen.

 

Hellblau und glasklar wie das laute Lachen der
Delphine. Und ewig glitzert das Meer. So blitz
Sauber wie der Pool amerikanischer Gutbürger

 

In den Sechzigern. Der strenge, gütige Vater,
Der göttliche Ranger wacht stets am Steg über
Den Wassern. Und draußen, erinnerst Du Dich,

 

Mein Freund, der flinke Fisch, wartet Flipper
Auf einen Ausritt zu zweit in die Freiheit. Das
Paradies im Kasten, absichtslos aufgef(r)ischt.

 


Museum der vergessenen Süßigkeiten

 

Liebesperlen schenk ich Dir
UFOs auch aus Esspapier
Dick gefüllt mit saurer Brause.
Komm, wir machen eine Sause!
Süß und klebrig muss es schmecken,
was wir lutschen, kauen, schlecken.
Lass uns reisen in die Zeiten
längst vergessener Süßigkeiten!
Kirsch-Lollies und Eiskonfekt
haben uns als Kind geschmeckt.
Nappo-Blocks und Brause-Brocken
können uns auch heute locken.
Rollos, Puffreis, Schokolinsen
bringen uns noch jetzt zum Grinsen.
Zuckerzeug aus Kindertagen
liegt zwar manchmal schwer im Magen
Doch das Glück vergisst man nie.
Süß macht glücklich. Und zwar wie!

 

Kohlensommer

 

Der Sommer heizt mit Briketts.
Mein nackter Kleinkinderbauch weiß
In gehäkelter Bikinihose.
Vorm Großeltern-Keller,
Direkt unter den Kastanien,
Ein riesiger Berg Kohlen,
Rechteckige Briketts, die meine Brüder
Schubkarrenweise in den Keller schaffen
Und die wir dann dort aufschichten,
Block für Block schwärzer werdend.
Die Sonne brennt schwarzen Staub
In unsere Nasen und Ohren.
Das Glück scheint grün
Durch die Kastanienblätter.
Dort, wo der Stamm sich verzweigt
Hocke ich Abende lang, still horchend,
Was die Großen darunter schwatzen. 

 

 

Sonnenscheinchen

 

Wende im Jahr, wenn wir
Die ersten Marienkäfer aus den Sonnenflecken
Im Frühsommergrün in die offene Kinderhand sammeln.
Schwarze Punkte auf rotem Panzer,
Das kleine Einmaleins der I-Dötzchen:
„Zähl mal, wie alt es ist!“
Ihre Angst riecht nach ranziger Butter
Und bleibt als gelber Fleck auf unserer Haut zurück.
Im grasbefüllten Einmachglas paaren sie sich
Vor unseren neugierigen Augen.
Was für eine Peep-Show
Für kleine Mädchen!  

 

 

Erlkönigs Tochter

 

Mein Fuß tut weh, ich muss fast hinken,
Ich glaub, ich muss vor Scham versinken.
Doch lauf ich weiter im Klageverbot,
Die Fichten sind dunkel, meine Stiefelchen rot.
Vater, lauf mir doch nicht so schnell davon!
Für Schmerzen hast Du immer nur Hohn.
Dreh Dich um, damit Du mein Weinen siehst,
Von meinen stummen Lippen liest.
Viel zu spät ziehst Du mir den Stiefel vom Bein:
Was nicht sein darf, kann auch nicht sein!
Ein Nagel durch die Sohle blitzt,
Mein Fuß ist blutig eingeritzt.
Bin immer noch das kleine Kind
Für meine eignen Schmerzen blind.
Wo bist Du nur, Vater, siehst Du mich nicht?
Die Wunde brennt, der Nagel sticht!
Bis ich endlich Dein Schweigen versteh‘:
Du siehst mich erst, wenn ich mich selber seh!
Die Stiefel werf ich weg, ich brauch sie nicht.
Lauf barfuß Richtung Sonnenlicht,
Geh so langsam, wie es mir entspricht,
Mein Horizont ist meine Sicht.

 

 

Bunte Knöpfe


Ich zähl die Sonntage
In abgetrennten Knöpfen
Im alten Beutel voll perlmutt'ner Wunder
Auf Wachstuch ausgebreitet.
Das leise Klickern wie von Kieselsteinen
In einem seichten Bach,
Wenn kleine Finger durch die Knöpfe kämmen
Und Kinderhände, die sie alle einzeln kennen
Und doch, als sei's das erste Mal
Jeden Knopf neu nach seiner Geschichte fragen.
Ich hör sie noch heute sie flüstern.

 

Meermilch

 

Mein Meer ist weiß.
Es sickert langsam in mich ein.
Der graue Kies
im Schatten hoher Weißdornhecken
Nur ein paar Kinderfüße schmal
Und Buchsbaum, Weg entlang.

 

Noch lauwarm gluckst die Milch
Ans Blech der Kanne
Ein harter Ruck: Ich schwebe!

 

Das weiße Meer, So nah
Ich kann es riechen
Sekundenewigkeiten lang
Bevor der graue Stein
das Weiß verschluckt.

 

Wolfskind

 

Nennt mich Wolfskind!
Noch spüre ich
Den zarten Biss der Schwestern
Und ihre scharfen Zähne an meinem warmen Puls.
Nur eine Erdhöhle groß,
Den Kopf auf ihren weichen Lenden,
Höre ich ihr feuchtes Hecheln.
Sie lehrten mich den Wolfsgesang.
Von Ihnen weiß ich, wie man Freude riecht
Und wie die Angst.
Aus gelben Augen schau ich fremd in Eure Städte
Und sehne mich zurück
Ins dunkle Grün der Wälder. 

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