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Fast alles über mich

 

J'EXISTE

 

Aus dem Schatten meiner waldgrünen Träume
Wachsen Nebelbrücken in den frühen Morgen,
Der mit Rosenfingern in die Dämmerung greift.

 

On the run. Der Gasthof „Porte de France" ist noch
Geschlossen. Die Mosel, schläfrige Grande Dame,
Posiert für eine romantische Flusslandschaft, zählt

 

Ihre weißen Schwäne und schweigt. Mal auf deutsch,
mal auf französisch. J'EXISTE Nur sieben Buchstaben
Und die Betonwand wird zur Sozialen Plastik. Ich bin

 

Nur unter Vorbehalt, antworte ich. Und fühl mich
Wie das Kind, das, auf den alten Fuji-Film-Dias ganz
Durchscheinend geworden, in die Ferien reist.

 


Vom Winde verweht

 

Ein kleines Nichts, fast ephemeres Wesen aus nur zwei
Flügeln, zieht eine weiße Barke hoch hinaus aufs Meer
Über dem Heck ein fliegender Anker aus Himmelsblei
Eine fröhliche Prozession aus Wolken-Wesen hinterher

 

Der Wind greift mit beiden Händen unter meine Liege
Sie heben mich hinauf ins ruhig dahin schwebende Boot
Sie schaukeln sanft mich wie ein Baby, das ich wiege
In diesen starken Armen kenn' ich Sorge nicht, noch Not

 

Obwohl ich unbewegt bleib‘, weder zieh‘, noch schiebe
Ich seh' den Horizont, auch wenn ich weiter liegen bliebe
Ich lass mich treiben, Ebbe hinaus und zurück mit der Flut

 

Nur vom Ufer aus erscheint die Ferne wellenlos und leer
Mir wird so leicht, den Körper spüre kaum ich mehr
Für ein paar Windstöße lang sind ich und Welt im Lot

 

 

Toter Winkel

 

In meinen Träumen bin ich stets heimatlos.

Nie je zu Hause, wie kommt das bloß?

Ich reise mir dauerhaft selbst hinterher.

In Zügen und Schiffen und ganz oft am Meer.

 

In meinen Träumen bin ich meist solitär,

Doch sicher ist eines: Da war vorher wer!

Gerade verlassen, auf der Suche nach mir,

Verpasste Freunde, die ich chronisch verlier.

 

In meinen Träumen bin ich noch lange nicht da

Wo ich vermutlich auch nie jemals war:

Am Anfang, wenn er übergeht in den Schluss,

An dem man „vergessen kann und sich erinnern muss“.

 

 

Fünf Glückseligkeiten

 

Mein erster Adler, ein kleiner Sticker

am Himmel von  Frankfurt black fingers

schwarz und winzig im Auge der Flieger,

die, aufgereiht wie Perlen an feinen Fäden

 

der Fernleitungen, streng Kurs halten auf

die Einflugschneise zum Glück, das schon

wartet auf der Landebahn als gigantische

rosa Pflaumenblüte auf dem silbernen

 

Heckflügel einer chinesischen Maschine.

Fünf Blütenblätter als rosa Versprechen

auf die fünf Glückseligkeiten Buddhas.

 

„Nichts tun,  nichts sein, nur im Herbst

eine Pflaume essen“ macht drei, zwei

heb‘ ich mir auf für schlechte Zeiten.

 

 

Im Fluss

 

Ein grauer Reiher im Seitenfenster
Auf gleicher Höhe mit weiten Schwingen
Im Stop-and-go vom Berufsverkehr an

 

dem frühen Morgen in Richtung Wasser
um dort zu warten auf kleine Fische
die silbrig glänzen von ganz allein wie

 

der Opel Astra im selben Tempo
in grau metallic im Sonnenschein kurz
vor einer Nonne mit hellem Strohhut

 

nur langsam trampelnd auf ihrem Fahrrad
Und für Momente bin ich im Rhythmus
An diesem Maitag mit allen Drein.

 

  
Götterlächeln

 

Die Leere nach dem zu langen Schmerz
ist weiß und wächsern, taub für das Glück,
das unglaubwürdig ist wie der erste warme Regen
im Jahr, der den braunen Schmetterlingsflieder

 

noch etwas stiller beugt. Das Warten kostet
Kraft, bis der Tropfen an der Spitze des geneigten
Blütenkopfs so schwer ist, dass er von selber
fällt, tief unter den müden Armen eines ausgedienten

 

Krans, der wie eine gigantische Himmelsuhr,
die lange nicht mehr aufgezogen und vergessen,
mit rostiger Lastenkette die Zeit auspendelt. Doch

 

die Götter lächeln, denn in diesem Frühjahr
beschließt der kommunistische Parteitag in China
endlich ein Dekret zur Rettung des blauen Himmels.

 


„The big blue.“

 

Bleicher Sonntag. Kalter Bruder. Du legst Dich
schwer auf mein Gesicht wie nasses,
dicht gewebtes Tuch: Waterboarding für
die Seele. Unterm blassen Leinen schwimmen
munter kleine Fische aus Buchstaben. Kann man
lernen, unter Wasser zu atmen? Ich schnappe

 

nach Wörtern. Abgepackte Sätze zwischen den
Kiemen. "Ich möchte Wörter benutzen, die
nicht zu benutzen sind." Vielleicht ist unter
Wasser die Sprache sogar leichter als Luft
Und die Sehnsucht schwimmt "Im Rausch
der Tiefe" über sich selbst hinaus ins ewige Blau.

 

Freie Wortwahl

 

Ein Tautropfen blinkt Morsezeichen von gegenüber
aus der großen Zeder. Meine Armbanduhr blinzelt zurück.
Kein Sterblicher kennt ihren stummen Code. Höchstens
vielleicht die Morgensonne, stiller Teilhaber der Hoffnung
auf einen geglückten Schreibtag. Mein Wunsch bleibt

 

mehr als eine Eintagsliebe. „Sie haben die freie Wortwahl!“
Ich folge den Sätzen „Westwärts 1 & 2“. Kompromisslos
bis in den Tod: R.D.B. und sein „Film in Worten“.
Dein Leben war nie eine Schaumfabrik. Zu kurz, um den
„Schrei eines Schmetterlings“ zu hören. Und jetzt?

 

Ein halbes Jahrhundert später? Der Ausverkauf
der Visionen hat doch gerade erst begonnen! Kein
Generationenvertrag garantiert uns mehr eine Traum
Rente war früher. Nur die Wirklichkeit zahlt immer
in bar und das meist in viel zu kleinen Scheinen.

 

Liebesbriefe an sich selbst

 

Ein Fetzen Vogel stürzt ins graue Planquadrat
Im Fensteranschnitt blüht das letzte Cremeweiß vor
Rosenfingern und Schmetterlingsflieder im Scherenschnitt
Mit Pfeifenreiniger. Das Telefon bewirbt Artikel für
Inkontinenz und bittet um einen Termin vor Jahresende. Dazu
Chansons im Walzertakt aus grammophonrauher Kehle.
Der November trägt einen Verlobungsring und zeigt sich
Von seiner besten Seite. Findet er. Auch, wenn er damit
Alleine steht. Zeit für Liebesbriefe an sich selbst und Pläne
Für die nächste Reise ans Meer. Der erste Schnee kommt
ohnehin früh genug.

 

Waldläufer

 

Hinter meinen Augen wächst Farn.
Der Himmel über mir ist grün.
Aus meinen Schultern sprießen Zweige
Und meine Finger ästeln sich von Blatt zu Blatt.
Ach, könnt ich doch hier wurzeln, Nur mit einem Bein!
Ein kleines Bäumchen unter Bäumen sein!
Ein wenig rauschen und ganz leise lauschen,
Wie knorrend sie sich aneinander reiben
Und einmal sehen, wie die Sonne frühmorgens
sich zart durch ihren Schatten atmet.

 

 

Flaschengrün


Mein Herz schwimmt tief im Flaschengrün. Ich sehe nicht einmal
Bis auf seinen Grund. Wie seltsam, wo mein Leben doch
Nur armlang vor mir liegt. Ich kann es mit meinen Fingern
Kämmen wie dünnes Haar. Glanzlos und dennoch ein wenig
Wunderbar. Ein Vogel geckert aus dem Busch. Und Kinder
Singen einen Abzählreim. Wer übrig bleibt,
Muss suchen. Wohin sind sie denn bloß so schnell gelaufen?
Als hätten alle nur ein einziges gemeinsames Ziel. Ich bleibe
Und warte, bis die Sonne allmählich erblindet und sehe, wie sie
Den Tag noch einmal kurz in flüssige Malve taucht.  

 

 

Nur ein Satz

 

Ich sende Zeilen ins Namenlos.
Die Haut ist weißes Papier.
Mein Leben bleibt ein angefangener Satz,
den keiner zu Ende buchstabiert.

 

 

Die Vermessung des Himmels

Flugzeuge zirkeln ihr Credo von der Vermessung
des Himmels ins frühe Blau.
Wir denken in viel zu kurzen Sätzen.
"Ne me quite pas!" Lass mich
nicht allein! Nicht heute! Gestern,
als wir noch singend durch die Wälder gingen,
immer den Weg am See entlang, selbst wenn da keiner war.
Das Wasser war klar, wie es nur im Spätherbst ist.
Meine Augen suchten durch die Spiegelungen
im Schatten des Wassers den Hecht. Sein Gebiss
hing an der Wand der Gastwirtschaft am See.
Nur einmal hab ich ihn stehen sehen
groß und schwarz und still.
Mir schien, er beobachtete mich
aus seinem schwarzblauen Grund.

 

Gegentakt

 

Mein Herz schlägt heut im Gegentakt.
Der Rhythmus hat 'ne Unwucht.
Die Sonne nagelt meinen Schatten in den Staub.
Ich reiß mich los . Es regnet Laub
bis tief in meine Mitte.
Ich tätowier den Weg
mit jedem meiner Schritte.
Mein Tag kippt seitwärts
in die Dämmerung.

 

 

Nottraumaggregat


Das Nottraumaggregat läuft auf Reserve
Schraubzwingen spannen sich um meine Brust
Ein ausgewrungener Lappen, mein Herz!
Wer holt mich aus der Seelen-Klemme?
Nimm einen Imbus-Schlüsse,
löse die unsichtbaren Schrauben, die sich
seit Kindertagen in Deine Eingeweide bohren
und nimm Dich selbst bei der Hand!
Hol Dir ein Stück vom Blau,
geh hinaus, mein Herz und der Tag gehört Dir!

 

 

Bucklicht Männlein

 

Der Morgen blafft mich an wie ein Hund.
Meine Arme hängen unverbunden
am Korsett, das unsichtbar die Luft
mir abschnürt bis hin zum Bauch, in dem
ein kleines Männchen tobt. Unwirsch und
grimmig hält er die Augen mir zu.
Damit die Sonne ihn nicht vertreibt,
den Groll, der die Gedanken anspornt,
sich wild im Kreis zu drehen.
Hol ganz tief Luft, damit
den Grimm Du austreibst
mit jedem neuen Atemzug.

 

 

Blindenschrift


Der Regen tropft seine Blindenschrift
aufs Fensterbrett. Und der Sonntag
macht sichs gemütlich. Ich döse
von violett nach orange. Honig


perlt golden vom Brot aufs Brett.
Heut riecht der Tag nach Nutella.
Vom Apfel bleiben zwei Kerne
zurück in der leeren, braunen Schale.


Eine Elster tippelt auf dem Dach
und schaut gelangweilt zum Fenster
herein, bevor sie weiterfliegt im Sturzflug.
Die Woche legt eine Pause ein,


mitten am hellichten Tag.
Ich bleib liegen. Komm,
wir machen ein Spiel: Wer sich
als erster bewegt, hat verloren.

 

 

Flucht

 

Unterm Lichtkegel zwischen Blätterschatten
in der Hängematte baumelnd, sinniere ich
den Träumen der letzten Nacht nach:
meiner geglückten Flucht auf dem Sozius eines Motorrads
über einen schmalen Steg mitten durchs offene Meer.
Hinter geschlossenen Augenlidern blitzt mir die Sonne
Morsezeichen zu, die ich nicht zu deuten weiß.
Der frühe September holt den verlorenen
Sommer nach mit sonnigen warmen Tagen,
in denen die Bomben weiter auf Syrien fallen
und die Flüchtlingskrise zum Wahlkampfthema wird.
Das Haus schwankt und schwimmt auf den Wellen,
denen wir nur um Haaresbreite entkommen.
Wir fliehen in einen Horizont, der nicht auf uns wartet
und uns trotzdem willkommen heißt.
Auf dem Rücken liegend, sehe ich in ein anderes Blau
und fühl mich dennoch gerettet.

 

Auf leichten Sohlen

 

Ich hatte vergessen, wie es ist, mit leichten Sohlen
querfeldein zu laufen. Wie jene Bauern gestern im Fernsehen
aus dem Oman, mit Sandalen auf schmalem Felspfad unterwegs,
um Wasserleitungen vom Steinschlag zu befreien. Heut lauf ich selbst
mit leicht besohlten Schuhen auf jenem Waldweg, den ich
schon hundertmal gegangen. Und kann auf einmal
mit den Füßen sehen. Die ersten Eicheln spür ich weich
unter meinen Sohlen und borstige Fruchtkapseln früher Bucheckern.
Die Samenflügel eines Ahorns, die sich paarweise
zu Boden schrauben, entpuppen sich
als Paraglider im spiralförmigen Abwärtsflug. Winzig klein
vor der Hügelkette, die sich wellenförmig in den Himmel zeichnet.

 

 

Tag, auf den Kopf gestellt


Heut stell ich alles auf den Kopf und fang von hinten an.
Ich mach 'nen Plan und zeig mir selbst, wie man es drehen kann.
Beginn den Tag mal andersrum: Steh auf und ruh Dich aus!
Die Nacht war lang, der Tag war kurz, kauf Dir 'nen Blumenstrauß.
Leg einfach auf die Wiese Dich und denk, es ist schon spät,
der Tag schon rum, das Haus geputzt, der Rasen schon gemäht.
Wie schön es ist, beim Morgenrot entspannt zur Ruh zu gehn,
den Tag mit seinem Hürdenlauf von hinten nur zu sehn.
Und abends wird der Tisch gedeckt mit Brötchen und Kaffee.
Das Aufstehn nach nem Bummeltag tut gar nicht mehr so weh!
Dann mach ich mir die Nacht zum Tag mit Mondscheinbad am See.
Es ist ganz still, ein Plätschern nur, wenn ich im Wasser steh.
Ich schwimm jetzt bis zum Morgengrauen, wenn alle Welt erwacht,
Der Tag beginnt, die Hektik auch, für mich die nächste Nacht.

 

 

Leichter als Elfenhaar


Nach einer guten Nacht
Mit Träumen, leichter als Elfenhaar,
Begrüß ich den späten Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl im Bad.
"Liebe auf japanisch"
Lockt die Zeitung mit dem Abdruck eines erotischen Holzschnitt
Von Meister Hokusai ins Ostasiatische Museum.
Wir frühstücken mit nackten Füßen im noch nachtfeuchten Gras.
Ich gieße die Blumen vor dem trockenen sonnigen Tag.
Ein Gluckern, wie man es nur hört,
Wenn ein irdener Krug
Aus der Regentonne Wasser schöpft.
Schwalben, fliegengroß, sausen im Zickzack
Über die mächtige Krone der Zeder,
Die heute besonders majestätisch im sanften Wind schwankt.
Ich sehe den Rosenblättern beim Fallen zu.
Kämm' Dein lichtes, weißes Wolkenhaar, zartblauer Augusttag!
Heute wirst Du mein Geliebter! 

 

 

Unterholz

 

Aus meinen Schläfen wächst Geweih.
Es drückt den Kopf schwer in die Schultern.
Der Blick beengt von mächtigen Hörnern,
Die kühn sich in den Himmel ästeln.
Der Duft von frisch geschlagenem Holz
Zieht tiefer mich ins dichte Unterholz,
Wo ich im grünen Schatten mir
Ein weiches Polster such'
Auf einem Kissen aus Moos. 

 

 

Zebrastreifen zum Glück


Die Sonne legt sich scheibchenweise auf Asphalt.
Mein Zebrastreifen zum Glück
Im Schatten grüner Juliwälder.

 

Brennnesseln mannshoch und Brombeeren am Weg,
Umflattert von Kohlweißlingen,
Rast suchend auf ihrem Flug

 

Ins frisch gemähte Heu, wo Grillen
In der Mittagshitze Siesta halten,
Sich gegenseitig in den Schlaf singen
Bis zum Einbruch der Dämmerung. 

 

 

Seelenwirbel

 

Wie ängstlich ist sogar mein Schatten heut?
Aus meiner Hüfte flattern schreckhaft Flügel
Die Schultern wissen nichts mehr von den Füßen
Schieben nur steif im Passgang mit
Irgendein Seelenwirbel ist falsch eingehängt
Die Sonne scheint geflissentlich vorbei
Und lässt mich grüßen. 

 

 

Doppelt sein


Heut bin ich wie zwei
Greif an allem vorbei
Lauf mir selbst hinterher
Kenn mein Passwort nicht mehr
Find mich nirgends hinein
Stell mir selber ein Bein
Meine Lust macht Spagat
Alles bleibt heute fad

 

 

Weißes Papier


Wieder ein Tag
Wie weißes Papier.
Du legst das Gesicht auf seine blanke Haut
Dein Schatten zeichnet grau darauf sich ab
Wie eine Frage, auf die es keine Antwort weiß.
Mit einem Bleistift fahre Stirn, Nase und Kinn entlang.
Schneid Deinen Schatten dann heraus.
Papierner Scherenschnitt,
Du kennst ihn länger als Dich selbst.
Doch wer sollte ihn lesen?
Dein Schattenriss ist schön!
Zeigt er doch Dein Gesicht.
Wenn Du es liebtest,
Bräuchtest Du ihn nicht.

 

 

Sintflut


Heut probt der Regen
Für die nächste Sintflut. Es heißt,
Die Sonne legte sich schlafen,
Zehn Tage und ein ganzes Jahr,
Bis Wasser über alle Berge reichte.
Die Welt, ein großes Meer, mein Herz,
Bau eine Arche Dir
Aus festem Tauwerk, Holz und Segeltuch,
Sie wird Dich tragen, bis
Die Berge wieder
Aus den Fluten wachsen. 

 

 

Salziger Atem

 

Mach Deine Augen zu und zieh
Mit feinem Bleistift Deinen Horizont
Ins Dämmerlicht. So zart
Zeichnet die Erde sich in den Himmel!

 

Sieh nur, die Segel, wie sie sich glätten
Im leichten Wind und wie das Meer
Sich mit dem Land vermählt,
Wenn salziger Atem und wilder Thymian sich küssen. 

 

 

Gegenlicht


Der Tag beginnt mit Gegenlicht.
Du läufst auf Sicht.
Schau nicht nach vorn! Vertrau nur Deinen Füßen,
Die, Schritt vor Schritt, die Erde grüßen,
Als würden sie von fern geführt.
Wer hat bloß Deine Hand berührt?
Geh weiter, bis der Tag nicht länger von sich selber weiß.
Dann zieh mit Kreide einen Kreis
Um Deine Mitte und Dein eignes Licht.
Du bist ja da, mehr brauchst Du nicht.

 

 

Wut


Die Wut schlägt leise ihren Takt
Kein andrer kann ihn hören.
Der Rhythmus, der den Tag zerhackt
Dröhnt nur in meinen Ohren.
Metall schlägt klackend auf Metall,
Mein Metronom der Seelenqual.
Kein Schreien wird es übertönen,
Kein stundenlanges Haare föhnen.
Doch manchmal reicht ein kleines Wort:
Die Wut ist weg, das Tackern fort. 

 

 

Ameisengrund


Holundertage
Blauschwarz grüßen sie meine Hand.
Und Gräser, kniehoch
Öffnen sich zum Schattenpfad.
Es geht sich leichter tief im Ameisengrund.
Der Sommer holt noch einmal Atem hier und
Ich leg still die Wange
An seine heiße Brust, damit sein Herz ich
Wie mein eigenes schlagen hör. 

 

 

Kindersommer

 

Himbeermond
Ich pflücke Dich
Wie einen süßen, schweren
Traum, der sonnenreif
In meine Hände fällt.
Du schmeckst nach Kindersommertagen,
Die beim Spiel zwischen wilden Hecken
Keinen Abend kennen. 

 

 

Kopfüber

 

Mit den Jahren
scheint mir die Entfernung
zum Himmel zuzunehmen.
Als Kind konnte ich
die Wolken noch mit den Fingerspitzen berühren
Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte.
Jetzt stehe ich kopfüber
Auf der Erde
Der Himmel tief
Unter meinen Füßen.

 

 

Dienstag

 

Wieder ein Dienstag. Und ein grauer noch dazu. Dicke Tropfen tragen Trauer.
Tiefe Wolken unken dunkel, als wär'n sie nicht von heute, sondern von Dauer.
Wer sagt, dass Träume unwahr sind? Ich träumte, das Wochenende sei schon da.
Ich wachte auf mit Brötchenduft, der gar nicht echt und dennoch wirklich war.
Ganz ausgeschlafen bin ich aufgewacht. Entspannt gestartet in den verregneten Tag.
Ach, wenn doch jeden Morgen Dienstag wär, vor dem ein Traum vom Wochenende lag.

 


Misstrauensvotum

 

Ein Morgen im späten April, der entschieden kälter ist als die Sonne
verspricht. Das heutige Glücksrad lässt mir nur die eine Wahl, und zwar
zwischen Wahrheit und Pflicht. Ich entscheide mich dagegen und stelle

 

einen vorläufigen Antrag auf ein konzertiertes Misstrauensvotum
gegen mich selbst. Draußen vermessen sämtliche gelben Kräne kreisend
den blauen Himmel über der Stadt. Vor dem crèmefarbenen Wellblech

 

einer Schokoladenfabrik hechelt ein kurzatmiges Rauchfähnchen
flach im Wind. Darunter im Hof ein roter Container mit der Auf
Schrift Hapag Loyd. Sofort springt die Fernweh-Maschine an und

 

im Ohr summt ein Schwarzafrikaner bei der Arbeit mit dem Staub
Wedel ein Lied aus seiner Heimat, tief und monoton, Fahrstuhl
Musik im Kopf oder das Wiegenlied aus einer Zeit vor der eigenen

 

Erinnerung, eingelullt von der ersten Stimme, der Mutter Lippen
formen Worte ohne Bedeutung, nur ein Leib, Maria, same old story,
mit ihrem Kind ohne Schmerzen, shampooing bebe, ne pique pas

 

les yeux, steht auf dem Mitbringsel aus dem Frankreich-Urlaub. Kennen
Säuglinge im Mutterleib wirklich noch keinen Schmerz, beginnt alles
nach dem ersten Wort, mit dem Sprechen erst wehzutun, Kaspar Hauser?

 

Und dahinter gäbe es tatsächlich kein zurück? Glück ohne Leid
nur im seligen Selbstvergessen auf den Pfaden Buddhas? Aber sprich
nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. Dieser Satz gilt doch

 

immer noch, ungebrochen der Zauber jeder Wortlese und Sprachernte,
oder leckt die Sprache nur Wunden, die sie selbst sich vorher zugefügt
und der Rest sei verzweifelter Glaube an den heiligen Geist?

 

 

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