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La Mer du Sud

 

Einsame Seelen

 

Das Meer trägt heute feinsten Zwirn mit hauchzarten
Nadelstreifen aus Sonnengarn. Leise leuchtende Licht
Litzen aus hohen Himmeln, unter denen einsame Seelen
Boote wie schwarze Silhouetten auf der Stille stehen,
umlächelt von winzigen Wellen, die sich engelsgleich

 

sanft und zaghaft zögernd bis ans Ufer fragen, nie, nicht
einmal fast berührt vom Flügelschlagen der Möwen, die,
auch wenn sie flacher fliegen als die Fische, sie viel zu
selten kriegen, selbst wenn sie blank blinzelnd ihre Saltos
springen nach nahezu unsichtbaren Dingen wie Ameisen,

 

die mit Köpfen im Wasser zappelnd um ihr Leben ringen,
stoisch bewacht von unbewegten Palmen, die stur hinaus
ins meerweite Nichts starren und still schweigend harren
mit hängenden Blättern betend für ein wenig Wind und
Wolkenjagen, damit sie nicht so stumm ins Leere ragen.

 

Wilde Wünsche

 

Der Wind wirft wütend wilde Wünsche in das Meer.
Das nackte Ufer zeigt ganz offen seine Steine her,
die blank aus glatt glänzenden Sandbänken ragen,
wo Seegrasbüschel sausend um sich selber jagen.

 

Flamingos fliegen krächzend Kurzstrecke auf Kollision,
ein Vater küsst in die Hände vom hingefallenen Sohn,
Stare schwärmen schwatzend hinauf in Pinienkronen,
dort ist es windgeschützter, warm und wohlig wohnen.

 

Auf Bordsteinen spielen Blattmäuse balgend kriegen.
Kein Ästchen bleibt bedächtig unter Bäumen liegen,
die sich noch abends in den Sonnenaufgang biegen.
Was nicht zum Himmel fliegt, ist bereits aufgestiegen.

 

 

Meeres-Sonett

 

Samedi, das Meer war beim Coiffeur
Es glänzt mit Dauerwelle und Pomade
Da es ganz unfrisiert im Wind so frör
Doch guckt mal wieder keiner, schade.

 

Weil Palmen ihren Hüftschwung üben
Im selben Rhythmus, ja sogar synchron,
Sie schütteln sich in Böen wie in Schüben
Und Segelmasten spielen dazu Vibrafon

 

Doch leider immer nur den gleichen Ton
Sie bimmeln fast, als ob‘s zur Kirche geht
Wenn’s Zügenglöcklein zart herüber weht

 

Am Sonntag, wo der Himmel sich zum Lohn
Mit Meerwind eine Wolken-Zigarette dreht
Die schräg gerollt über dem Morgen steht.

 

Schwarze Austern

 

Der Morgendunst spinnt früh ein Netz aus unsichtbarer blauer Seide,
über das Kormorane ziehen im Konvoi entlang der Wasserscheide,

 

wo sie mit Gegenwind im Schnabel geschlossen zu den Pyrenäen fliegen,
die mit gezacktem Rücken flach wie schwarze Austern in der Sonne liegen

 

gleich angeschwemmten Riesen. Große Brüder der Muscheln am Strand.
Wo, von streunenden Hunden, Sandkäfern und Sturmvögeln überrannt,

 

zwischen Algen, Schwemmholz und Seeigel-Ködern zum Fische angeln,
die Möwenfedern sich als kleine Segel taumelnd bis zum Ufer hangeln.

 

Ein beinah schwereloser Flaum, ein halb und halb aus Luft gewebter Traum,
der kurz sich um sich selber dreht, bevor er untergeht im weißen Schaum.

 

Endstation Sehnsucht

 

Das Meer läuft links ins Ungewiss, die Berge sind frisch getuscht,
die Bürstengräser längs dem Strand haben im Sonnenbad geduscht
am Parkplatz unterm scharfen Wind hocken Kinder in einem Boot
auf dem Camperdach im Niemandsblau vor nahem Leuchtturmrot

 

zum Himmelsboot und Autobus zähl'n drei Hunde und Ziege in braun
der Streichelzoo läuft frei herum, sie wollen nur schnüffeln und schau'n
wer hinter dem Steuer des Pickups sitzt, seine Gitarre vor dem Bauch,
es ist ein Mann, der nur sich selber lauscht, genau das möchte ich auch.

 

Küstenoratorium

 

Aus der Oleanderhecke zwitschert leise ein frisch geschlüpftes hungriges Vögelchen nach Futter,
oder reiben sich nur Zweige im Wind aneinander? Ein paar Gärten weiter gurgelt ein Samovar,
der in Wahrheit das nervöse Dauerräuspern des betagten französischen Nachbarn ist.
Um den alten Wurzelstock im Schatten des Balkondachs summen Bienen im ständigen Kontrollflug.
Tief im Gebüsch wuseln Eidechsen, plötzlich aufschreckend aus tiefem Sonnenschlaf, im alten Laub.
Palmen plappern leise in ihrer Siestaruhe. "Attend moi!" ruft ein Mädchen auf klapperndem Fahrrad.
Wummernd tuckert das Militärboot von der täglichen Patrouille im Nirgendwo vor der Küste zurück.
Oben brummt ein weiß-schwarzer Motorflieger und wirft lautlos eine Handvoll winziger Möwen ab.

 


Gruissan Plage

 

Gründonnerstag, das Meer macht auf türkis
und fleißige Fische üben Synchronspringen. Die Ebbe
zirkelt einen Halbmond in den Sand, scharf beäugt
von zwei Gendarmen, police municipale auf Streife,
mit Mountain Bikes; sie sollen die UrlaubsPromenade

 

vor islamischem Terror schützen. Afrika ist hier so nah
wie nirgends; bei klarer Sicht könnten die Palmen
sogar ihren Brüdern winken, behaupten die Fischer.
Das sei kein Seemannslatein wie der Anschlag am
Palmsonntag auf koptische Kirchen in Ägypten, wo

 

gerade 44 Menschen getötet wurden. Die Satellitenschüsseln
funkten es doch von allen Dächern, unter denen
die Spatzen ihre Nester bauen, nur scheinbar geschützt
vor dem Wind, der niemals schläft, wie die Breaking
News, die den Krieg der Religionen sogar bis ins Ferien

 

Paradies bringen. Adam und Eva kennen sie alle,
nackt und unschuldig wie die kleinen Kinder,
die am Strand ihre Sandburg bauen mit so viel
Liebe, als wäre sie für die Ewigkeit gemacht wie
die hungrigen Wellen, die immer nur nach Hause eilen.

 

Heilige Berge

 

"Schau, das Meer und die Berge!" höre ich
eine Mutter zu ihrem Kind sagen während
ihrer Promenade direkt entlang am Wasser
mit Blick auf die Pyrenäen, so, als müsste sie
zuallererst sich selbst überzeugen, zu unglaubwürdig

 

dieser nachösterliche Tag in Märchenblau, an dem
die Möwen Gondeln fahren, sich treiben
lassend im Wind, der mehrere Male die lose Strebe
einer Wäschespinne anschlägt wie ein Glöckchen,
das die Schwestern zum täglichen Gebet ruft,

 

in dessen Singsang die Wellen so unendlich
gleichförmig ans Ufer der Worte schlagen,
wie Musik aus der Ferne, halb geflüstert halb
gesungen im Chor wird jedes Lied zur Hymne an
einen allmächtigen Gott, sei es der heilige Berg Athos

 

oder der schneebedeckte Canigou, heute gedoubelt
von einem Gebirge aus Wolken, das seinen Doppel
Gänger hinter seinem Rücken nur eine kaum
unterscheidbare kleine Ewigkeit höher
in den fast ein wenig zu klaren Himmel klont.

 


La mèr fermée

 

Das Meer hat heut den ganzen Tag geschlossen. Es dreht dem Strand den Rücken zu.
Wer baden will, dem zeigt es seine Steine. Und kaltes Blau. Heut will es seine Ruh.
Es fährt sich fahrig durch das Wellenhaar in krausen, hektisch grauen Strähnen.
Und gibt sich reserviert, das kann es gut, macht auf gelangweilt so, als würd' es gähnen.
Am Abend hüllt es sich in malve wie ganz feines Tuch und tut entsetzlich distinguiert.
Sogar die Möwen fliegen respektvoll tiefer und auch die Fische blinzeln irritiert.

 

Gerichtstag

 

Heut ist der letzte Freitag und der Canigou hält Gericht. Er trägt
Seine Wolkenperücke aus langen weißen Locken. Zum Lachen
Finden das die Möwen, die wie jeden Tag ihre gleichen Runden
Über die Lagune ziehen. Darunter, im seichten Wasser, drehen
Fingerlange Fischchen sich mit. Im morgendlichen Singkreis lernen sie gerade
Das Wellen-Einmaleins. Bald gehts für sie zum ersten Mal
Hinaus ins offene Meer. Die Kleinen zappeln schon
Vor Vergnügen. Kalt soll es sein und weit und breit
Kein Ufer! Schon zieht die Ebbe kräftig Richtung Leuchtturm,
Der steif und windschief in die Brandung starrt. Wonach er Ausschau hält
Weiß ganz allein er selbst.  

 

 

Brautkleid

 

Das Meer trägt ein Brautkleid in silberweiß. Die Schleppe reicht
Fast bis zum Ufer. Drei Boote tragen sie feierlich über das Wasser.
Sechs Ruderer und ein Steuermann spielen auf zum Hochzeitstanz.
Sie schlagen, wild rudernd, den Takt, bis die Gischt zum Himmel spritzt.
Darüber der jüngste Sohn des Pyrenäenkönigs: Der Bräutigam,
Heute ganz in schwarz, neigt sich sanft hinab zu seiner Braut.
Dahinter im Dunst, der Canigou, der zum Fest noch ein wenig
Grauer lächelt mit diesigen Augen, die von der eigenen Hochzeit
Träumen. Damals im Schnee. Und ganz in Weiß.

 

Himmelsborte

 

Über dem Étang staffeln sich die Chalets
im Abendlicht: weiße Leinwände, auf die Möwen
ihre Kurven schreiben, bevor sie kopfüber
ins tintenblaue Wasser stürzen.
Der kühle Wind aus den Pyrenäen treibt es
in kleinen Wellen aufs offene Meer.
Ein Segler, der vor Anker liegt, dreht sich mit.
Die Adamsblätter der Maulbeerbäume bilden eine Himmelsborte,
die mit dunkelgrünen Fingern ins blaurosa Pastell greift.
Fast scheint es, die Stelzenhäuser wendeten sich
unmerklich gegen Westen, um der Sonne
ihr Geleit zu geben bis zu den Hügeln,
wo Frankreich und Spanien
sich im letzten Licht vermählen.

 

Lundi gris

 

Promenade der Baguettes vor der Lagune. Eine blank geputzte Silbermünze und
So still, dass jede Angel ihr eigenes Echo wirft. Mit zarten Wellen,
lautlos wie der Tag, an dem man die Oliven fallen hört
Und Fische, wenn sie springen oder unter Wasser
Ihre Seemannslieder singen. So leise, dass selbst
Die Möwen schweigen und lauschen, wenn sie den Fischerbooten
Ihre kalte Schulter zeigen. Denn heute ruhen sie aus und decken
Sich mit den Wolken zu. Die schwer sich auf die Berge legen.
Nur sie allein wissen an grauen Tagen wie diesen,
Wo die Gipfel schlafen und der Himmel beginnt.

 

Graues Haar

 

Die Pyrenäen lächeln, denn der Canigou trägt seit heute graues Haar
Der erste Sturm ist vorbei und der Herbst ist da, sonnig und klar
Das Wasser im Etang ist gletscherkalt. Es zerlegt die Welt
In tausend kleine Spiegel, während das Meer weiter brüllt,
Schläft der kleine Bruder hinter der Mole in aller Ruhe
seinen Rausch aus. Nur, wenn ein Boot passiert, legt er für kurze Zeit
Seine junge Stirn in glatte Falten. Die Möwen haben heute Badetag
Und Segler flanieren mit leicht geschürztem Tuch. Der erste Tag
Seit dem großen Regen, an dem der seichte Wind sie wieder
Sanft hinaus ins offene Meer schiebt. "Geht spielen!" ruft der Tag.
"Solange die Sonne noch wärmt! Die Zeit der Sandburgen
Ist bald vorbei! Schon wartet der erste Schnee hinter den Bergen!"

 

Meeresseide


Schwarz in schwarz gleiten die Kinder der Pyrenäen ins Meer,
wo sie von wedelnden Schirmen bunter GleitschirmSurfer empfangen werden.
Darüber, in einer Wolke aus Nichts, schwebt der Canigou, als wäre er nur geträumt.
Segelmasten weisen aus der Meeresseide in die dunkle Bergsilhouette,
jenseits der sich heute neblig graue Hügel bis weit hinunter an die spanische Küste sehnen.
Die Möwen schweigen zur Mittagsstunde und auch die Spatzen halten Siesta.
Den Rest verschluckt der Wind, der sanft und kühl aus den Bergen weht.

 

Blaues Eisen


Das Meer poliertes Eisen, der Himmel taubenblau
Stumm stehen Angler in ihren Gummibeinen
Sogar die Möwen fliegen stiller
und dichter übers Wasser. Fast, aber nur
fast berühren sie mit ihren Flügelspitzen
das Eisengrau. Die Sonne macht einen Tag frei.
Und die Segler bleiben lieber im Hafen
Sie trinken den Expresso heute doppelt schwarz.
Zugvögel üben den ersten Formationsflug.
Sonderbar, wie kräftig der Lavendel duftet,
bevor der Regen fällt. Genügend Zeit,
die Wellen bis zum Horizont zu zählen.

 

 

Staniolpapier



Das Meer ein Staniolpapier, der Himmel spearmint-blau
Unsichtbar die Fahrrinne, in der das Marineschiff ankert.
Seine Kriegsbemalung blauweißrot am Rumpf
spiegelt die Sonne wild flatternde Vögel.
Ich schwimme hinaus ins tiefe Algenschwarz.
Kleine Wellen schlagen mir ins Gesicht
zurück bis ans Ufer. Der Nachbar hört Nachrichten
auf französisch. Ein Segler kreuzt mit flatterndem Tuch
auf der Suche nach dem Punkt,
an dem das Meer sich selbst vergisst.

 


Canigou

 

Mittelmeer-Tage, die mit dem Wind aufstehen.
Der Horizont, nur einen Herzschlag weit entfernt.
Verlockend nah das Immerblau,
Das kein Segel je erreicht.
Wie viele Möwenschreie westwärts
Schläft der weiße Pyrenäenberg?
Die Wellen frösteln unter seinem kalten Atem
Und verbrüdern sich mit der Sonne
In wildem Pastell,
Das, einige Flügelschläge später,
Über den Hügeln verblasst.
Rosenbäuchige Flamingos krächzen
Spät über der Nacht, die sich
Ohne Wind heute nicht schlafen legt. 

 

 

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